Ich mag dich wie du bist
lächelt mit ihren aufgespritzten Lippen. »Wir hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit.«
Ich erwidere das Lächeln und versuche mit meinem Blick eine Botschaft des Friedens und des universalen Verständnisses zu übermitteln. Möglicherweise hat die buddhistisch angehauchte Alice wieder die Oberhand gewonnen.
»Entschuldige bitte, Alice«, äfft Martina ihre Mutter nach, »aber meine Mutter ist eine blöde Kuh.«
Nun ist der Buddha in mir verwirrt.
Zum Ausgleich lächelt Martinas Mutter weiter, aber inzwischen bin ich ziemlich sicher, dass eine verunfallte Silikonspritze in die Lippen daran schuld ist. Wahrscheinlich hat sie eine Gesichtslähmung. Die buddhistische Alice in mir tadelt mich für solche Gedanken, aber ich kann nicht umhin, über die absurde Situation zu lächeln. Dann sieht Martina mich an. An irgendeinem unbestimmten Punkt in der Luft treffen unsere Blicke aufeinander und bleiben dort hängen, und ich sehe wieder den ganzen Abend vor mir, ihre Tränen, das, was sie mir über ihre Familie erzählt hat. Sie lächelt mich verschwörerisch an, dann verwandelt sich das Lächeln in ein zufriedenes Grinsen.
»Na gut«, sagt sie und nickt ins Leere, »ich komme zum Mittagessen und meine Freundin begleitet mich.«
Das Silikon in den Lippen ihrer Mutter erzittert wie Gelatine und ihre Augen ruhen auf mir in Erwartung einer höflichen Ablehnung.
Ich weiß nicht, was ich tun soll.
Mir ist völlig klar, dass ich gerade der Spielball eines Mutter-Tochter-Konflikts bin und dass es vielleicht besser wäre, eine Verabredung vorzuschützen und zu verschwinden.
»Wir essen bei mir zu Hause, dann kann ich dir auch meinen zweiten Vater vorstellen, und danach gehen wir an den Strand, die Sonne kommt ja gerade wieder raus.«
Aus irgendeinem Grund bewegt sich mein Kopf auf dem Hals ruckartig auf und ab, genau wie bei Martina, wenn sie Ja sagt, und deshalb bemerkt sie auch als Erste meine widerwillige Zustimmung.
»Gebongt«, sagt Martina.
Ihre Mutter sieht sie mit einem eiskalten Lächeln an.
»Sehr gut, dann rufe ich unsere Haushälterin an und sage ihr, dass wir zu viert sind.«
Neununddreißig
Hatte ich meiner Mutter nicht erzählt, dass ich bei meiner Freundin Martina essen würde? Dann esse ich eben wirklich bei Martina zu Mittag.
Ihr Haus ist nur ein paar Hundert Meter vom Strand entfernt. Ein schmiedeeisernes Tor gibt den Weg auf eine grüne Oase frei, die einen deutlichen Kontrast zu der sie umgebenden Vegetation darstellt. Ein Kiesweg führt unter einer mit Weinlaub bewachsenen Pergola hindurch und schlängelt sich dann durch einen Tunnel aus Oleanderbüschen. Hinter dem Tunnel taucht das Haus auf, ein großes umgebautes Bauernhaus, ganz aus Stein. Im Erdgeschoss wurde eine Wand eingerissen, um Platz für eine breite Glastür zu schaffen, durch die man direkt zum Pool gelangt, der ebenfalls aus Stein ist und von einem satten grünen englischen Rasen umgeben ist.
Eine Frau in Dienstmädchentracht kommt mit gefalteten Händen und leicht zur Seite geneigtem Kopf auf uns zu. Als sie uns sagt, das Essen würde um eins auf der Terrasse serviert, fürchte ich einen Moment, dass ich gleich laut herausplatze.
Genau in dem Moment, als ich gerade denke, dass jetzt nur noch zwei reinrassige Dobermänner fehlen, die über den Rasen rennen, kommen zwei magersüchtige Afghanische Windhunde aus einem Busch hervor und galoppieren – so würde ich es nennen – auf uns zu.
»Wir gehen schwimmen«, sagt Martina.
Inzwischen ist die Sonne wieder richtig herausgekommen und es ist höllisch heiß geworden.
»Es ist zwölf Uhr fünfundzwanzig, bist du sicher, dass noch genug Zeit zum Schwimmen ist?«, fragt ihre Mutter, immer noch lächelnd.
Ich kann nicht anders, ich muss einfach denken, dass meine Mutter in einer solchen Situation zu mir so etwas gesagt hätte wie: »Alice, dazu ist keine Zeit mehr, außerdem hast du dann nasse Haare, deck lieber den Tisch.« Aber hier muss ich nicht den Tisch decken und wahrscheinlich trocknen uns die Afghanischen Windhunde mit ihrem lauen Atem die Haare.
Martinas Mutter dreht sich um und verschwindet im Haus. Ich frage mich langsam, wann ihr Freund auftauchen wird.
Wir bleiben allein.
»Entschuldige«, sagt Martina, und mir ist nicht danach, jetzt zu sagen »Ach, das macht doch nichts«, weil es schrecklich falsch klingen würde.
»Sagen wir, du schuldest mir was.«
Ihr Gesicht erhellt sich plötzlich, sie lässt den Pareo auf den Boden fallen und springt ins Wasser.
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