Ich mag dich wie du bist
beschäftigt sich noch immer mit dem Schuljahr, das vor mir liegt. Und wenn es wieder schiefgeht? Was ist, wenn ich noch einmal sitzen bleibe? Bis vor einer Woche gehörte die Vorstellung, ich könnte erneut versagen, lediglich zu den üblichen Weltuntergangsgedanken-kurz-vor-dem-Schlafengehen, und jetzt scheint sie mich den ganzen Tag zu verfolgen.
Wir erreichen einen kleinen Felsen, der etwa hundert Meter vom Ufer entfernt aus dem Wasser ragt. Martina stellt sich dorthin, wo er komplett unter Wasser liegt. Aus der Ferne sieht es wahrscheinlich so aus, als würde sie übers Meer laufen.
»Los, komm auch hoch«, sagt sie und streckt mir die Hand hin.
Ich lasse mir von ihr helfen und stelle mich neben sie.
»Ich liebe diesen Felsen. Er ist wie eine winzige Insel.«
»Ja, es ist schön hier.«
»Ali, was ist los? Du kommst mir so vor, als wärst du auf einem anderen Planeten.«
»So ist es ja auch. Ich bin auf dem Planeten ›Nächstes Schuljahr‹.«
»Ja und?«
»Ich weiß auch nicht, was mich gepackt hat. Zum Teil liegt es wohl daran, dass die Ferien zu Ende gehen, und dann …«
Ich kann nicht weiterreden, denn der Satz läuft zwangsläufig auf einen Schluss zu, den ich nicht vorhergesehen hatte.
»Und dann?«
»Keine Ahnung.«
»Insgesamt ist es doch besser gelaufen, als du gedacht hattest, oder? Zumindest hast du ganz nette Ferien. Jetzt ist auch noch der berühmte Luca gekommen. Also, ich will damit nicht sagen, dass das mit dem Sitzenbleiben kein Problem ist, aber bis vor einer Woche hatte ich nicht den Eindruck, dass dich das groß belasten würde.«
»Ja, stimmt.«
»Und jetzt? Was hat sich verändert?«
In meinem Kopf finde ich eine Antwort, aber eigentlich ist es nur eine zeitliche Übereinstimmung und keine wirkliche Erklärung. Was ist vor einer Woche passiert? Luca ist gekommen. Martina scheint meine Gedanken zu lesen.
»Hat es was mit Luca zu tun?«
»Hmm … na gut, ja. Also, es ist nicht seine Schuld, aber er gehört zu meinem Leben in Mailand, wenn ich euch nicht kennengelernt hätte, hätte ich mich bestimmt riesig gefreut, dass er mich besucht, aber jetzt, ich weiß auch nicht, so habe ich ständig das Gefühl, dass ich mich entscheiden muss.«
»Aber du musst dich doch nicht entscheiden. Du kannst doch sowohl Luca als auch uns haben.«
»Das ist nicht das Gleiche. Ich bin nicht dieselbe, wenn ich mit euch und mit Luca zusammen bin.«
Martina sieht mich verwirrt an. Mittlerweile sind wir komplett trocken und die Sonne brennt auf der Haut. In der Ferne sehe ich, wie sich Daniele und Luca angeregt auf einem Felsen unterhalten.
»Warum ist es nicht das Gleiche: wegen uns oder wegen Daniele?«
»Nein, es liegt nicht an Daniele. Es ist nur so, also, zu Luca habe ich eine ganz besondere Beziehung. Er hört mir immer zu, wenn ich Stress habe, und jetzt …«
»Jetzt hast du keinen Stress.«
»Ja, das heißt, nein, da ist immer noch die Sache mit dem Sitzenbleiben, und in letzter Zeit muss ich immer daran denken, aber jetzt bin ich mit Daniele zusammen. Na ja, ich hatte einfach nicht damit gerechnet, ich war mir sicher, dass er nicht kommen würde. Ehe ich abgefahren bin, hatte ich ihm vorgeschlagen, er soll mich besuchen, und er hatte geantwortet, dass er auf keinen Fall kommen würde. Und jetzt ist er auf einmal hier.«
»Ich habe das mit euch beiden sowieso nicht ganz kapiert.«
»Das mit mir und Luca?«
»Ja, na ja, ihr wart mal zusammen und jetzt seid ihr Freunde und er wirkt überhaupt nicht verliebt oder so, er hat sich sogar mit Daniele angefreundet.«
»Ja, stimmt, aber es ist ein seltsames Gefühl für mich, wenn ich die beiden jetzt miteinander reden sehe.«
»Ali, warum ist das eigentlich zwischen euch auseinandergegangen?«
»Keine Ahnung, es war einfach irgendwann Schluss.«
»Sicher, aber es muss doch einen Grund gegeben haben.«
»Er war der Richtige zum falschen Zeitpunkt. Wir hatten uns zu früh gefunden. Wenn wir uns jetzt begegnet wären, wäre wohl alles anders gelaufen. Wir waren beide verliebt. Doch Dinge ändern sich, und wenn es vorbei ist, das weißt du doch selbst, dann redest du dir ein, dass du gar nicht ernsthaft verliebt warst, denn das würde ja bedeuten, dass du den Menschen verloren hast, den du geliebt hast.«
Martina sieht mich schweigend an. Ich bin mir nicht sicher, ob sie mich versteht.
»Mit ihm war alles etwas ganz Besonderes. Wir haben uns blind verstanden, und das ist auch jetzt noch so, aber als wir zusammen waren, war es
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