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Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Titel: Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Koslow
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möbliert und schmucklos. Eben modern, oder seelenlos, das kann man sehen, wie man will.
    Barry bekam seinen Monsterfernseher, der beherrscht jetzt das Zimmer, in dem ich gern einen alten Holztisch mit Ausziehplatten für große Dinnerpartys aufgestellt hätte. Stattdessen ist der Tisch nun aus Glas und Stahlrohr und bietet nur Platz für sechs Personen. Vor dem Fernseher stehen zwei Lehnsessel und ein Ledersofa, das so maskulin wirkt, dass sogar echte Cowboys daran ihre Freude hätten. Okay, die düsteren Schwarz-Weiß-Fotografien an den Wänden gefallen mir schon auch, sogar einige der künstlerisch wertvollen Keramiken, obwohl ich Weller und Roseville einfach nicht auseinanderhalten kann, ums Verrecken nicht – oh, eine Redewendung, die ich mir wohl besser abgewöhnen sollte.
    Ja, ich lästere ziemlich über unsere Wohnung, die um einiges luxuriöser ist als die der meisten New Yorker. Ich wünschte, ich könnte sagen, ich hätte nie irgendwelche spitzen Bemerkungen gemacht. Aber wenn ich jetzt nicht ehrlich sein kann, wann sonst? Ich hatte meine Fehler. Ich habe gern geklatscht und mich über die Erfolge anderer nicht immer nur gefreut. Ich habe gelegentlich Geburtstage vergessen und zu oft zu Take-aways gegriffen. Ichhabe an keinem Mutter-Kind-Kurs teilgenommen und nie bei den Vorwahlen meine Stimme abgegeben. Ich habe jeden Tag dunkle Schokolade gegessen, und zwar viel mehr als die zwei Gramm, die zur Senkung meines Blutdrucks gut gewesen wären. Ich weiß nicht mal, wie viel zwei Gramm eigentlich sind. Und ich hätte drei Kilo abnehmen sollen. Okay, fünf. Ich habe die ›New York Times‹ meist ungelesen als Altpapier gestapelt, vor allem den Wissenschaftsteil. Ich habe meine Schuhe nicht geputzt und die Absätze immer schiefgelaufen. Ich habe meine Haarbürsten nicht gesäubert und bin manchmal ins Bett gegangen, ohne mich abzuschminken. Kettenmails haben bei mir stets ihr natürliches Ende gefunden, und ich habe nie einen Blick in eins der Online-Fotoalben von Freunden geworfen. Ich hatte zwei alberne Promi-Zeitschriften abonniert. Und wenn nicht gerade meine Eltern zu Besuch waren, ging ich freitagabends lieber ins Kino und stopfte mich mit Popcorn voll, anstatt ein anständiges Schabbatessen mit gebratenem Huhn und Challa zuzubereiten. Ich habe kein Kreuzworträtsel je vollständig gelöst – nicht mal eins der einfachen am Montag, ich konnte nicht Bridge spielen, und die Footballregeln habe ich auch nie kapiert. Bauchmuskeln waren bei mir kaum noch vorhanden, weil ich Fitnesstraining genauso gehasst habe wie die Oper. Und bei Krimis konnte ich der verwickelten Handlung nie folgen und verstand sie nicht mal dann richtig, wenn jemand sie mir nach dem Film wie einer Minderbemittelten erklärte.
    Ich hätte auch eine bessere Ehefrau sein können. An den Problemen in unserer Ehe war ich genauso schuld wie Barry. Nur um ihn zu ärgern, habe ich mich manchmal eisern beherrscht, um über seine Witze nicht zu lachen, die meistens wirklich lustig waren und von unseren Freunden noch jahrelang zitiert wurden. Ich nannte immer viel zu viele sinnlose Details, wenn ich eine Geschichte erzählte. Und einen Blowjob bekam mein Ehemann nur alle paar Monate mal von mir.
    So könnte ich immer weitermachen mit der Aufzählung all meiner Fehler, und vielleicht tue ich das auch noch. Aber eineshabe ich doch richtig gemacht, und das war, Delfina Adams einzustellen und ihr einen anständigen Lohn zu zahlen.
     
    Heute hat Delfina ihre Freundin Narcissa und ein paar andere Jamaikanerinnen angeheuert, und die Wohnung ist blitzblank. Den riesigen Spiegel in der Diele verdeckt ein mattschwarzer Polyesterstoff, den das Beerdigungsinstitut zur Verfügung gestellt hat, und im Wohnzimmer sind wie aus dem Nichts plötzlich lauter gedrungene Sitzkartons für die Totenwache der engsten Familienangehörigen aufgetaucht, fast so wie im Internet dauernd diese nervenden Werbefenster aufploppen.
    Auf dem Klavier stehen ein Strauß weißer Rosen – den sicher Delfina gekauft hat, Juden legen in der Trauerzeit keinen Wert auf Blumen – und daneben mindestens zehn Fotos, aufgereiht wie in einer Polonaise, die den Lebenslauf der Molly Marx darstellt: Lucy und ich als Neugeborene; ich als Malibu-Barbie verkleidet an Halloween; das Foto von meinem Highschool-Abschluss, das eindeutig beweist, dass eine braune Kurzhaarfrisur im Audrey-Hepburn-Look mir nicht steht; Brie und ich mit Rucksäcken bepackt auf unserer Italienreise nach dem

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