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Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Titel: Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Koslow
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schwarz oder strahlend weiß, die Böden von einem satten Walnussbraun, und jedes Stück Metall bis hin zu den Türscharnieren ist aus mattem Edelstahl, der keinerlei Fingerabdrücke aufweist. Bücher und Zeitschriften sind so exakt gestapelt, als würden die Besitzer sie jeden Tag mit dem Lineal ausrichten. Die Möbel stammen allesamt von wegweisenden Designern aus der Mitte des 20.   Jahrhunderts   – Knoll und Saarinen und andere, deren Namen ich vergessen habe. Alles ist so edel und schlicht, dass ich hier am liebsten mal in einem schrillen Punker-Outfit aufgekreuzt wäre, mit knallblau gefärbten Nelken in der Hand.
    Um so zu wohnen, wie es Isadoras Vorstellungen entsprach, hat Brie drei Viertel ihrer alten Besitztümer aufgegeben. Vermutlich weiß Isadora bis heute nicht, dass all das Zeug nicht über Craigslist im Internet verkauft wurde, wie Brie ihr versichert hat, sondern in einem Container in der Bronx eingelagert ist. Wenigstens in dieser Hinsicht hat Brie auf mich gehört. Ich könnte wetten, dass sie in diesem Augenblick zu gern in einen alten Quilt eingehüllt in ihrem wackeligen blauen Schaukelstuhl sitzen würde, den wir mal gemeinsam auf einem Trödelmarkt in Bucks County entdeckt haben.
    »Einen Hinweis?«, fragt Isadora. »Was meinst du, etwa einen rätselhaften Anruf?«
    Bries Gesicht läuft rot an.
    »War doch nur ein Scherz«, fügt Isadora rasch in ihrem verführerischen spanischen Tonfall hinzu.
    »Wenn wenigstens eine Postkarte kommen würde«, erwidert Brie, »mit nur einem Wort darauf.«
    »Die Post in New York mag ja miserabel sein,
mi amor
«, sagtIsadora, »aber es ist jetzt schon über eine Woche her.« Sie fasst nach Bries Hand, doch Brie zieht ihren Morgenmantel an – sahneweiß, genau wie Isadoras   –, geht ans Fenster und starrt auf die Straße hinunter. »Tut mir leid«, sagt ihre Geliebte. »Das war nicht so kalt und herzlos gemeint, wie es klang. Ich weiß, es geht dir schlecht. Wenn ich nur irgendetwas tun könnte.«
    Isadora verlässt das Zimmer. Sie weiß nur zu gut, dass alles, was sie im Augenblick tun oder sagen kann, falsch aufgefasst werden wird. Brie starrt noch immer in den strömenden Regen hinaus. »Ich spüre dich, Molly«, flüstert sie. »Ich weiß, du bist hier, ganz nah bei mir. Ich kann es nicht erklären. Doch ich schwöre, ich kann dein Parfüm riechen.« An keinem Duty-free-Shop konnte ich je vorbeigehen, in den letzten fünf Jahren meines Lebens habe ich jeden Tag »Eternity« aufgelegt. Ein halbes Fläschchen des Eau de Toilette steht noch immer in meinem Badregal.
    »Ja, ich bin hier«, sage ich. »Ich bin hier. Dreh dich um.« Brie war die beste Freundin, die eine Frau sich nur wünschen konnte. Sie war nicht der Typ für süßliche Gespräche, dennoch machte sie immer klar, wie wichtig ihr mein Wohlergehen war. Brie brachte mein besseres Ich zum Vorschein. In ihrer Gegenwart, ja sogar wenn wir nur miteinander telefonierten, wollte ich immer alles aus mir herausholen, über mich hinauswachsen – wollte fröhlicher, witziger, klüger sein, in jeder Hinsicht. Wenn sie doch nur wüsste, dass ich jetzt, in diesem Augenblick, wirklich bei ihr bin. »Ich bin hier«, wiederhole ich noch einmal.
    Aber Brie sieht nur aus dem Fenster, mit leerem Blick. »Molly, gib mir ein Zeichen«, sagt sie.

6
Die Ewigkeit
    »Ich bin Bob«, sagt er und schüttelt mir die Hand. »Ich bin dir als Ratgeber zugewiesen worden.«
    »Bist du ein Engel?« Meine Güte, habe ich etwa zu viele von diesen esoterischen Zeitschriften, die Delfina immer herumliegen lässt, gelesen?
    Er ist gut gebaut, dunkelhaarig, hat ein markantes Kinn und wirkt genauso flott wie die jungen Priester, die der Vatikan immer als Pressesprecher ins Fernsehen schickt. »Bist
du
einer?«, fragt er völlig ernsthaft zurück.
    Bin ich ein Engel?
    Bob räuspert sich und lacht. »Molly, das war nur ein Scherz. Wir versuchen, so aufgeladene Wörter wie ›Engel‹ zu vermeiden. Die sind uns etwas zu pathetisch. Sieh mich als so eine Art privaten Trainer, Blindenhund, großen Bruder.«
    »Ich hatte nie einen Bruder«, murmele ich.
    »Das wissen wir«, erwidert Bob. »Das ist einer der Gründe, warum mir dein Fall zugewiesen wurde. Ich hätte mich dir schon früher vorgestellt, aber du scheinst die Regeln ja schon allein herausgefunden zu haben.«
    Ist das ein Kompliment?
    »Ja«, sagt Bob. »Das kannst du als Kompliment nehmen.«
    »Danke«, erwidere ich.
    »Ehrlich gesagt musste ich mich in den letzten Tagen

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