Ich muss Sie küssen, Miss Dove
abends um elf Vorder- und Hintereingang ab, es sei denn, eine der Hausbewohnerinnen kehrt später nach Hause zurück, vom Theater oder einer Revue. Dann lässt sie die Tür offen und trägt ihrer Zofe auf, abzuschließen, sobald die Letzte eingetroffen ist. Aber ...”
„Ich nehme an, das hast du nicht getan, bevor du hergekommen bist? Ich meine, du hast dir wohl keine Ausrede ausgedacht, warum du so spät noch unterwegs bist?"
„Nein, Harry, aber ..."
„Nun, da haben wir die Bescherung. Wir müssen uns irgendeinen Grund ausdenken, warum du so lange ausgeblieben bist. Unverheiratete Damen dürfen mit einem unverheirateten Gentleman um drei Uhr nachmittags in der Öffentlichkeit spazieren gehen, aber irgendwie kommt es mir weniger akzeptabel vor, wenn sie mit besagtem Herrn um drei Uhr morgens angetroffen wird."
„Das ist alles kein Problem, wie ich dir ja schon dauernd zu erklären versuche. Ich habe mein Fenster unverriegelt gelassen. Besser gesagt, die Balkontür", ergänzte sie, als Harry sie immer noch verständnislos ansah. „Die Tür, die zur Feuertreppe führt! Du liebe Güte", fuhr sie kopfschüttelnd fort, „ein Glück, dass ich ein vernünftiger Mensch bin, der an solche Dinge denkt, sonst wären wir jetzt in der Tat in ernsthaften Schwierigkeiten!" Sie nahm ihm das Ölzeug ab und faltete es auseinander. „Ich habe das Gefühl, ich werde die Herausforderungen einer heimlichen Affäre gut meistern. Meinst du nicht auch, Harry?"
Harry traf die nötigen Vorkehrungen. Er fand für sie beide ein kleines Haus in Kent, nur zwei Eisenbahnstunden von London entfernt, wo, wie sie ihm versicherte, niemand Emma kannte. Um Dorfklatsch zu vermeiden, wollten sie dort als Mr. und Mrs. Williams auftreten, ein Paar, das größten Wert auf Ungestörtheit legte.
Sie würden immer freitags hinfahren und am Montag zurückkehren, erklärte er ihr flüsternd bei ihrer letzten Besprechung in seinem Büro. Sie redeten ganz leise, damit Harrys Sekretär das Gespräch durch die aus Gründen der Schicklichkeit offen stehende Tür nicht mitanhören konnte. Geschickt flochten sie ihr Geheimnis in Harrys Kommentare zu Emmas Arbeit und ihre Entwürfe künftiger Artikel ein. Er hatte ihr zugeraunt, dass sie getrennt anreisen und so auch wieder zurückkehren würden. Unter der Woche, wenn sie in London waren, sollte das Haus geputzt werden. Am Wochenende würden sie keine Bediensteten beschäftigen, aber nach all den köstlichen Rezepten, die Harry von ihr gelesen hatte, nahm er doch an, dass die großartige Mrs. Bartleby kochen konnte? Wenn nicht, dann röstete er eben für sie beide Brot und Käse über dem Feuer.
Bis Harry alle diese heimlichen Vorbereitungen abgeschlossen hatte, waren zwei Wochen vergangen. In dieser Zeit entdeckte Emma etwas ganz Neues für sich — die Vorfreude. Als ihr Zug in dem kleinen Dorf Cricket Somersby eintraf, war ihr beinahe schwindelig vor Aufregung. Harry stand auf dem Bahnsteig und wartete auf sie, und als Emma sein Lächeln sah, setzte ihr Herz einen Schlag aus. Am liebsten wäre sie einfach auf ihn zugerannt, aber selbst hier, weit entfernt von allen, die sie kannte, durften sie sich keine solchen Freiheiten erlauben. Er nahm ihr die Reisetasche ab, und sie folgte ihm zu einer Kutsche, wo er die Tasche dem Kutscher übergab und Emma beim Einsteigen behilflich war. Sobald sie beide Platz genommen hatten, kletterte der Kutscher auf den Bock, und schon waren sie unterwegs.
Das Haus war ein zweistöckiges Gebäude aus Stein mit einem reetgedeckten Gaubendach und einer leuchtend roten Eingangstür. Es stand mitten im Wald, ein Bach und ein kleiner See befanden sich ganz in der Nähe. Harry erzählte Emma, dass hinter dem Haus ein kleiner Küchengarten angelegt und das Haus selbst sehr gemütlich eingerichtet war. Er trug ihre Tasche hinein, und Emma hielt in dem kleinen Eingangsbereich inne. Sie hatte jedoch gerade so viel Zeit festzustellen, dass sich links von ihr ein Salon und rechts ein Esszimmer befanden, da hörte sie, wie ihre Reisetasche geräuschvoll auf dem Holzboden landete. Sie drehte sich um und sah Harry an, der gerade die Haustür schloss, und bei seinem vielsagenden Gesichtsausdruck hielt sie den Atem an. Als Harry sie in die Arme nahm, nach hinten beugte und leidenschaftlich küsste, musste sie ihren Strohhut auf dem Kopf festhalten. Sie hoffte nur, dass zu dem gemütlichen Mobiliar auch ein Bett gehörte.
Da war ein Bett, ein großes sogar, mit einem altmodischen Kopfteil
Weitere Kostenlose Bücher