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Ich muss Sie küssen, Miss Dove

Titel: Ich muss Sie küssen, Miss Dove Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lee
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sich für Emma tiefer und gehaltvoller anfühlte.
    Wenn sie sich die Woche über in ihrer Wohnung aufhielt, konnte sie beim Einschlafen nicht einmal das Schnurren ihrer geliebten Katze über die Leere hinwegtrösten, die sie spürte, weil Harry nicht neben ihr lag. Überhaupt kam ihr ihre Wohnung nicht mehr wie ein Zuhause vor, sondern eher fremd. Cricket Somersby war inzwischen ihr wirkliches Zuhause.
    Sie vermied es so gut wie möglich, Mrs. Morris über den Weg zu laufen, denn sie hatte den Eindruck, als wüsste die
    Vermieterin ganz genau, welchen unmoralischen Lebenswandel Emma mittlerweile führte. Zum Glück stellte Mrs. Morris keine Fragen, aber Emma fiel es von Tag zu Tag schwerer, mit ihrem Geheimnis zu leben.
    Noch schlimmer wurde es, als Emma Mitte September eines Nachmittags in Mr. Inkberrys Buchhandlung vorbeischaute. Sie wollte sich dort nach Büchern umsehen, in denen sie Anregungen für die Planung einer Hochzeit finden konnte. In weniger als zwei Wochen sollte sie sich mit Lady Eversleigh treffen, und Emma hatte noch keine einzige Idee vorzuweisen, die sie Harrys Schwester präsentieren mochte.
    Mr. Inkberry beschwerte sich, dass Emma schon so lange nicht mehr da gewesen war und bestand darauf, dass sie zum Tee blieb. „Josephine. wäre furchtbar böse auf mich, meine Liebe, wenn ich Sie einfach so wieder fortgehen ließe", sagte er, schloss die Ladentür ab und hängte das Schild „Geschlossen" ins Fenster.
    Also saß sie nun wieder im Salon der Inkberrys wie schon so oft zuvor, und doch war dieses Mal alles anders. Sie selbst hatte sich verändert.
    „Ich hoffe, Ihnen gefällt Ihre neue Situation, meine liebe Emma."
    Sie erschrak bei diesen Worten. Sie starrte Mrs. Inkberry an und spürte, dass sie rot wurde. „Meine neue Situation?"
    „Nun, Ihre Arbeit für Mrs. Bartleby." Die ältere Dame hielt inne und musterte Emma mit einem strengen Blick. „Das ist doch so viel besser, als bei diesem geschiedenen, ehrlosen Taugenichts Lord Marlowe angestellt zu sein."
    Emma sah zu Mr. Inkberry hinüber und ihr fiel ein, dass sie ihn mit Marlowe bekannt gemacht hatte. Er musste seiner Frau den Namen verraten haben. In Anbetracht von Marlowes Ansichten, seines Ruf es und der Tatsache, dass er sie geküsst hatte, noch dazu in der Öffentlichkeit, war es nicht verwunderlich, dass Mrs. Inkberry sie so prüfend ansah. Wenn sie gewusst hätte, wie oft er Emma seit jenem Tag geküsst hatte ...
    Angestrengt bemühte Emma sich um eine gelassene Haltung. „Ja, meine neue Situation gefällt mir sehr. Mein Gott, es ist schrecklich warm für September, finden Sie nicht?"
    Ihre Situation sah so aus, dass Emma eine Lüge lebte. Nicht nur eine, genauer gesagt. Sie war eine unverheiratete Frau, die eine heimliche Affäre hatte, sie war nicht die Sekretärin der berühmten Mrs. Bartleby und sie arbeitete nach wie vor für Lord Marlowe.
    Plötzlich breitete sich Traurigkeit in ihr aus. Hier saß sie in Mr. und Mrs. Inkberrys Salon, trank Tee und wich Fragen aus, während ihr gleichzeitig auf einmal bewusst wurde, dass es kein einziges Thema in ihrem Leben mehr gab, über das sie mit den Leuten reden konnte, die sie früher als ihre Freunde betrachtet hatte. Ein heimliches Doppelleben war nicht nur sehr verworren, es machte auch einsam.
    Harry wartete am Freitag wie gewohnt auf dem Bahnsteig in Cricket Somersby auf Emma, denn er nahm stets einen früheren Zug, damit man sie in der Victoria Station nicht zusammen sah. Er nahm ihre Reisetasche und wollte sich eben der wartenden Kutsche zuwenden, als eine herzliche Männerstimme hinter ihnen ertönte.
    „Marlowe, wenn das mal keine schöne Überraschung ist!"
    Sie blieben stehen, und Emma sah über ihre Schulter hinweg einen lächelnden blonden Mann in ungefähr Harrys Alter auf sie zutreten.
    „Warte hier", flüsterte Harry, stellte ihre Tasche ab und lief dem anderen Mann entgegen. „Weston, nett Sie zu treffen. Was um alles in der Welt machen Sie denn in diesem abgelegenen Nest? Sind Sie auch gerade mit dem Zug angekommen?"
    Emma verfolgte die Szene aus den Augenwinkeln und es entging ihr nicht, dass Harry den Mann namens Weston von ihr fort lotste, ohne Zweifel, um ihn ihr nicht vorstellen zu müssen. Sie merkte auch, dass der andere Mann ihr einen raschen, prüfenden Blick zuwarf, und wandte sich sofort um. Sie tat, als betrachtete sie vollkommen fasziniert die ländliche Umgebung, und versuchte nicht daran zu denken, welche Fragen Harrys Freund wohl stellen mochte.

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