Ich muss Sie küssen, Miss Dove
aus diesem Büro und aus seinem Leben zu verschwinden. Sie versuchte, sich aus seiner Umarmung zu befreien, aber er ließ sie nicht los, und sie geriet in Panik. „Lass mich gehen, Harry!", rief sie. „Bitte, lass mich gehen!"
Diese Worte schienen zu wirken. Mit einem leisen Fluch löste er seinen Griff, und sie rannte, ohne sich noch einmal umzusehen, zur Tür. Er machte keine Anstalten, ihr zu folgen, und als sie die Treppe hinuntereilte, machte sich in ihr die demütigende Erkenntnis breit, dass sie bei ihrer Ankunft hier gehofft hatte ...
Ja, in einem verborgenen Winkel ihres Herzens hatte sie gehofft, dass er ihre Entscheidung nicht hinnehmen, die Ehe plötzlich für etwas Wunderbares und Richtiges halten und vor ihr auf die Knie fallen würde, um ihr zu sagen, dass er sie liebte und heiraten wollte. Großer Gott, sie sollte wirklich Romane schreiben, genug Fantasie hatte sie jedenfalls.
Sie presste sich die Hand vor den Mund, um ihr Schluchzen zu unterdrücken, und stieg in die Mietdroschke, die sie an der Ecke hatte warten lassen. Erst, als Harrys Verlag nicht mehr zu sehen war, ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Sie weinte, aber nicht, weil sie gerade das Schönste beendet hatte, was ihr je im Leben widerfahren war. Nein, sie weinte, weil er sie nicht daran gehindert hatte.
Lass mich gehen, Harry.
Wieder und wieder hallten ihre Worte in seinem Kopf nach. Als Emma sie ausgesprochen hatte, waren sie wie ein Tritt in seine Magengrube gewesen. Oder ein Stich mitten ins Herz.
Jetzt prasselten sie wie Peitschenhiebe auf ihn ein, im gleichen Takt wie das Rattern des Zuges, der durch die Landschaften von Kent fuhr. Erst war Harry bei Emmas Wohnung gewesen, in der Hoffnung, sie dort zu finden, aber ihre verdammte Vermieterin hatte darauf bestanden, dass Emma nicht zu Hause wäre.
Dann hatte er Diana ein Telegramm geschickt, obwohl er gewusst hatte, dass Emma nicht in Marlowe Park sein wurde, und seine Schwester hatte das telegrafisch bestätigt. Sie war nicht in Berkshire.
Seine letzte Hoffnung war nun das Haus. Aber auch dort fand er Emma nicht, und ihr ehemaliges Liebesnest kam ihm ohne sie wie eine leere Hülle vor. Weil er dachte, sie könnte vielleicht am nächsten Tag doch noch kommen, blieb er über Nacht. Mit jedem Knarren des Betts und jedem sanften Schwung der Hängematte glaubte er, ihre Stimme zu hören, sodass er in beiden Möbelstücken keinen Schlaf fand. Er fühlte sich einsam ohne Emma.
Ich habe mich in dich verliebt.
Er starrte auf den kleinen See, in dem er ihr das Schwimmen beigebracht hatte, und dachte daran, wie ihr Gesicht im Mondschein geleuchtet hatte. Er setzte sich an das Ufer des Bachs und stellte sich Emma im Wasser stehend vor, die Röcke gerafft, sodass er ihre langen, schönen Beine bewundern konnte. Er sah sie nackt auf dem Küchenfußboden sitzen und Pfirsiche essen; er sah sie neben dem Waschtisch warten, während er sich rasierte und die Zähne putzte. „Ich liebe dich auch", flüsterte er dem Spiegel zu, in dem er ihr Gesicht wahrzunehmen glaubte, und er hasste sich selbst, weil er das nicht schon viel früher gesagt hatte. Weil er es ihr nicht schon viel früher gesagt hatte. Es war ihm selbst ja noch nicht einmal klar gewesen. Weil er es auch erst begriffen hatte, als sie weg war.
Einsam lief er den Weg durch die Wiesen entlang und wünschte, er hätte ihre Hand gehalten, als sie noch gemeinsam spazieren gegangen waren. Warum hatte er das nur nicht getan?
Ich möchte meinen Frühling zurück haben.
Harry blieb stehen und blickte sich um. Der Frühling war vorbei, der Sommer ebenfalls. Der Herbst war gekommen, und die Blätter färbten sich allmählich bunt. Er stellte sich Herbsttage vor, an denen er mit ihr Brot und Käse über einem Feuer röstete. Das würde nun nicht mehr geschehen.
Das war doch alles Unsinn. Ausgerechnet in diesem Haus würde sie jetzt bestimmt nicht Zuflucht suchen. Warum sollte sie auch? Er drehte sich um und machte sich auf den Rückweg, um seine wenigen Sachen zu packen, die er mitgebracht hatte, doch dann hielt er erneut inne. Das ältere Paar, das Emma in ihrer Fantasie so beschäftigt hatte, kam ihm entgegen. Er rührte sich nicht von der Stelle und beobachtete die beiden, als sie sich näherten, wie immer Hand in Hand. Er nickte grüßend, als sie an ihm vorbeigingen, und sie grüßten zurück.
Henry schaute ihnen nach. „Entschuldigen Sie bitte?", rief er.
Sie wandten sich um und sahen ihn fragend an.
Verlegen lächelnd
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