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Ich muss Sie küssen, Miss Dove

Titel: Ich muss Sie küssen, Miss Dove Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lee
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Stern. „Gerade weil du so etwas hast erleiden müssen, schlummern großartige Geschichten in dir, Scheherazade."
    Sie fing an zu weinen.
    „Nicht, Emma." Er zog sie in seine Arme und legte sich mit ihr hin. Er streichelte ihr Haar, küsste die Tränen von ihren Wangen und hielt sie warm umschlungen, bis sie schließlich einschlief.
    Harry blies die Kerze neben seinem Bett aus, aber er kam nicht zur Ruhe. Er lag wach im Dunkeln und dachte nur zwei Dinge. Einerseits war er froh, dass Emmas Vater tot war. Andererseits wünschte er, das Scheusal wäre noch am Leben, damit er es eigenhändig umbringen könnte.

22. KAPITEL
Geliebte Leserinnen, ich hoffe von ganzem Herzen, dass mein Wissen, das ich in den letzten sechs Monaten mit Ihnen geteilt habe, für Sie nützlich und unterhaltsam gewesen ist. Aber leider ist nun der Zeitpunkt gekommen, an dem ich Ihnen allen voller Zuneigung Lebewohl sagen muss.
    Mrs. Bartlebys Social Gazette, 1893

    Emma saß an ihrem Schreibtisch und blickte wieder einmal auf ein leeres Blatt, diesmal eingezogen in ihre Schreibmaschine. Noch ein paar Tage, dann musste sie nach Marlowe Park reisen, aber für Lady Eversleigh war ihr immer noch nichts eingefallen. Die Idee, für das Hochzeitsfrühstück Leinenservietten zu Schwänen zu falten, spiegelte deutlich wider, wie wenig inspiriert Emma war.
    Mr. Pigeon döste schnurrend auf ihrem Schoß. Sie vermutete, dass er sie immer schrecklich vermisste, wenn sie ihn über das Wochenende allein ließ, denn wenn sie dann wiederkam, folgte er ihr auf Schritt und Tritt wie ein liebeskranker Schuljunge. Harry hatte keine Ahnung. Katzen waren so viel besser als Hunde.
    Sie wandte ihre Aufmerksamkeit dem kleinen Stapel Manuskriptseiten neben ihrer Schreibmaschine zu. Ihre Artikel für die nächste Ausgabe waren fertig, aber nur, weil sie auf Themen ihrer früheren Kolumne zurückgegriffen hatte. Ein weiterer Beweis dafür, wie sie seit einiger Zeit arbeitete. Fantasielos. Harry hatte damals recht gehabt. Emma gab Tante Lydia eine Stimme, nicht sich selbst, und seit jenem Tag war es ihr immer schwerer gefallen, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wo es den besten, bereits fertigen Plum Pudding gab, wo man preisgünstigen Samt erstehen konnte, oder ob es comme il faut war, sich beim Frühstück zur Begrüßung die Hand zu geben.
    Harry hatte ihr geraten, sich einmal an einen Roman zu wagen. Vielleicht sollte sie das wirklich tun. Sie verspürte ein leises, aufgeregtes Kribbeln. Vielleicht würde sie sich ja tatsächlich eines Tages trauen. Aber zuerst musste sie den Wunsch von Harrys Schwester erfüllen. Wenn Emma in Marlowe Park eintraf, wollte sie Lady Eversleigh ein paar gute Vorschläge für deren Hochzeit vorlegen können. Emma hatte es versprochen, und brave Mädchen hielten ihr Versprechen. Trotz des befreienden Überschwangs der letzten beiden Monate, trotz des überwältigenden Glücksgefühls, unartig sein zu dürfen, wusste Emma, dass sie im Herzen immer ein braves Mädchen sein würde.
    Sie hatte den Eindruck, einmal im Kreis gelaufen zu sein.
    Emma hob Pigeon von ihrem Schoß und setzte ihn sanft auf einen Sessel. Dann ging sie zur Balkontür und trat hinaus auf die Feuertreppe. Lächelnd erinnerte sie sich daran, wie sie diese Treppe nach jener ersten himmlischen Nacht mit Harry hinaufgestiegen war. Seitdem hatte es so viele andere himmlische Tage und Nächte gegeben.
    Sie legte die Hände um das Eisengeländer und sah auf die Straße vier Stockwerke unter ihr. Plötzlich überkam sie wieder diese Traurigkeit, die sie in letzter Zeit ziemlich oft plagte. Seit dem Tag auf dem Bahnsteig in Cricket Somersby, als Harry sie nicht seinem Freund hatte vorstellen können.
    Es klopfte an ihrer Tür, und Emma kehrte ins Zimmer zurück, um zu öffnen. Draußen stand ein Junge mit einem in braunes Papier eingewickeltem Päckchen.
    „Miss Emma Dove?"
    „Ja.”
    „Ich habe ein Päckchen für Sie, Miss."
    Emma nahm es ihm ab, gab ihm einen halben Penny Trinkgeld und schloss die Tür. Ihr Herz schlug etwas schneller, als sie Harrys Handschrift auf dem Päckchen erkannte. Schon riss sie ungeduldig an dem Papier. Was um alles in der Welt mochte das sein?
    Abgesehen von der vollständigen Ausgabe der Erzählungen aus 1001 Nacht hatte Harry ihr noch nie ein Geschenk gemacht. Sie erwartete das auch gar nicht. Er war nicht der Typ Mann für so etwas, und außerdem wusste er, dass sie nicht das Gleiche haben wollte wie irgendeine Cancantänzerin. Bücher und

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