Ich muss Sie küssen, Miss Dove
kann ich oft nicht einschätzen, ob Sie etwas ernst meinen oder ob Sie spaßen. Außerdem glaube ich, Sie nehmen nur wenig Rücksicht auf andere, indem Sie Geschenke für Leute nicht selbst kaufen, ständig unpünktlich sind und andere solche Dinge. Und Ihr Lebenswandel, so kommt es mir leider vor, ist schrecklich lasterhaft — Ihre Verachtung für die Ehe, Ihre Affären mit Cancantänzerinnen und anderen Frauen mit äußerst niedrigen Moralvorstellungen."
Er musste lachen. „Nun, eine Affäre mit einer hochmoralisch eingestellten Frau würde wohl kaum den beabsichtigen Zweck erfüllen."
Emma nahm an, dass das ein Scherz sein sollte.
Harrys Lächeln erstarb und er räusperte sich. „Ja, nun, Sie lehnen mich also ab. Abgesehen davon, dass ich berechnend und unaufrichtig bin, bin ich auch noch aalglatt, dreist, rücksichtslos, unpünktlich und ein Schürzenjäger. Habe ich noch irgendetwas vergessen?"
So gesagt, klang das ziemlich hart. Sie hatte eine so vernichtende Kritik gar nicht üben wollen, aber schließlich war sie es auch nicht gewohnt, andere in Frage zu stellen. „Es ist ja nicht so, dass Sie viel für mich übrig hätten", wandte sie hastig ein, ihr war schrecklich unwohl zumute. „Ich weiß, Sie halten mich für staubtrocken und völlig humorlos."
„Nun, das können Sie mir kaum verübeln. Sie lachen nie über meine Scherze."
Das brachte sie tatsächlich ein wenig zum Schmunzeln. „Vielleicht, weil sie nicht lustig sind?"
„Ja, ja, schon gut. Das hatte ich mir jetzt selbst zuzuschreiben, nicht wahr?"
Emma kam wieder zum Thema zurück. „Tatsache ist, dass ich nicht mehr zu diesen ... ungleichen Arbeitsbedingungen zwischen uns zurückkehren kann. Für die Arbeit, die Sie vorschlagen, müsste ich als Autorin meine Meinung vollkommen frei zum Ausdruck bringen können, und Sie hätten sie zu respektieren." Mit jedem Wort wurde Emma etwas mutloser. „Wir müssten auf eine ganz neue Art miteinander umgehen. Nicht wie ein Chef und seine Sekretärin, nicht wie ein Viscount und die Tochter eines Armeesergeanten, sondern wie zwei Menschen, deren Meinungen und Ideen gleichberechtigt sind. Wir müssten uns gegenseitig mit Respekt und Rücksichtnahme behandeln."
„Und Sie glauben, das ist nicht möglich?"
Emma dachte an die vielen Jahre, in denen er ihre Existenz wie eine Selbstverständlichkeit hingenommen hatte. An all die Male, als sie zu eingeschüchtert gewesen war, um den Mund aufzumachen. „Nein."
Eine ganze Weile schwiegen sie beide, dann nickte er. „Wahrscheinlich haben Sie recht. Sie mögen mich nicht und mir gefällt nicht besonders, was Sie schreiben, also scheint das Ganze ziemlich hoffnungslos zu sein." Er zeigte zur Tür. „Ich begleite Sie nach unten."
Keiner von ihnen sagte ein Wort, als er sie die Treppe hinunter in die Eingangshalle führte. Vor dem Haupteingang blieben sie stehen.
„Ich muss jetzt hinüber in meinen Verlag", erklärte er. „Ich kann eine Kutsche für Sie rufen lassen."
„Danke, das ist nicht nötig. Ich bin sicher, die Social Gazette wird sich unter Ihrer Leitung sehr gut entwickeln. Ich wünsche es Ihnen", ergänzte sie und meinte es ernst.
„Ich danke Ihnen. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass Sie schon bald einen anderen Verleger für Ihre Kolumne finden." Er hielt ihr die Tür auf und folgte Emma nach draußen. „Ich sorge dafür, dass Sie Ihr Honorar für die Kolumne erhalten, die Sie mir heute gegeben haben. Ich wünsche Ihnen auch viel Erfolg, Miss Dove." Er verneigte sich vor ihr. „Leben Sie wohl."
Emma starrte auf seinen breiten Rücken, als Marlowe davonging, und plötzlich wurde ihr ganz schwer ums Herz. Sie redete sich ein, eine vernünftige Entscheidung getroffen zu haben. Wenn sie eingewilligt hätte, für ihn zu schreiben und ihre Arbeit von ihm veröffentlichen zu lassen, wäre daraus eine Katastrophe geworden, denn sie vertrugen sich wie Hund und Katze. Sie wären sich niemals über irgendetwas einig geworden. Es war sehr vernünftig von ihr gewesen abzulehnen.
Da war es wieder. Schon wieder dieses schreckliche Wort. Vernünftig.
„Warten Sie!", rief sie und eilte ihm nach.
Er blieb an der Ecke stehen, drehte sich zu ihr um und wartete, bis sie vor ihm stand.
„Wenn wir doch zu einer Einigung kämen, wie hoch wäre dann mein Honorar?"
Bei diesem überraschenden Sinneswandel zog Harry eine Augenbraue hoch, aber er äußerte sich nicht dazu, sondern beantwortete einfach Emmas Frage. „Sie bekämen zehn Prozent der
Weitere Kostenlose Bücher