Ich muss Sie küssen, Miss Dove
ehrenwerter Mann niemals darüber nachgegrübelt, was dieses alles wohl umfassen mochte. Aber Harry war bereits als lasterhafter Mensch mit einem unmoralischen Lebenswandel abgestempelt worden, und als der Eigentümer vom Au Chocolat ihnen sein Geschäft zeigte, gingen Harry die reizvollsten Möglichkeiten durch den Kopf. Der Rundgang endete in einer Art Empfangsraum, wo sie eine Flasche Champagner in einem mit Eis gefüllten Kübel, zwei Champagnerflöten und eine Auswahl feiner Pralinen auf einem Silbertablett erwarteten. Ein kleiner rosa Karton mit einer weißen Schleife stand ebenfalls auf dem Tisch.
„Vielleicht möchten Mylord und Mrs. Bartlebys Sekretärin gern unsere Trüffel probieren und dazu ein Glas Champagner genießen?", bot Monsieur Bourget an.
Emma betrachtete die Auswahl an Pralinen, als wäre sie plötzlich im Paradies gelandet. „Wie überaus aufmerksam von Ihnen, Monsieur."
Der Franzose zeigte auf den rosa Karton. „Bitte richten Sie Mrs. Bartleby aus, sie möchte diese Trüffelauswahl als Geschenk von uns annehmen. Wir glauben, dass wir die besten Likörpralinen in ganz London herstellen, und hoffen, sie kommt in ihrer Kolumne zu demselben Schluss."
„Ich bin mir sicher, sie wird sich darüber freuen", erwiderte Emma mit gelassener Miene, „aber ich kann natürlich nicht sagen, wie sie ihr schmecken werden. Leider bin ich ja nur ihre Sekretärin."
Der Franzose kam nicht dazu, ihr zu antworten, denn in dem Moment betrat ein anderer Herr den Raum und runzelte besorgt die Stirn. Er redete leise auf Bourget ein.
Es folgte ein kurzer Wortwechsel auf Französisch, von dem Harry nur die Hälfte verstand, da die beiden Männer sehr schnell sprachen und sein Französisch immer schon erbärmlich gewesen war. Es schien jedoch Schwierigkeiten mit der Temperierung einer bestimmten Schokoladensorte zu geben, so viel hatte er heraus hören können.
Bourget wandte sich seinen Gästen zu und breitete achselzuckend die Arme aus. „Wie es aussieht, werde ich leider jetzt dringend gebraucht. Miss Dove, Vicomte Marlowe, ich fürchte, ich muss Sie einen Moment allein lassen. Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen?" Als beide nickten, deutete er auf den Tisch. „Genießen Sie die Trüffel, ich bin gleich wieder bei Ihnen." Er verneigte sich und verließ mit dem anderen Franzosen den Raum, sodass Harry und Emma allein zurückblieben.
Harry griff nach der Champagnerflasche. „Wollen wir Monsieur Bourgets Gastfreundschaft in Anspruch nehmen?", fragte er und schenkte zwei Gläser ein.
Emma verstaute ihr Notizbuch und den Stift wieder in ihrem Retikül und legte den Leinenbeutel auf den Tisch. Anschließend knöpfte sie ihre Handschuhe auf und zog sie aus. Während sie einen Schluck Champagner trank, studierte sie die Auswahl an Trüffeln und entschloss sich schließlich für einen aus dunkler Schokolade mit feinen rosa Zuckergussstreifen.
Harry beobachtete sie, wie sie anmutig die Hälfte von dem Trüffel abbiss, und musste über ihren geradezu verzückten Gesichtsausdruck schmunzeln. Die Fantasie ging mit ihm durch. Als ein winziger Tropfen Likör von ihrer Unterlippe auf ihr Kinn rann, nutzte er schnell diese vom Himmel gesandte Gelegenheit.
Sie wollte eben ihr Champagnerglas abstellen und nach einer Serviette greifen, da hob Harry die Hand. Mit dem Daumen fing er den Tropfen auf und führte die Hand dann an seinen eigenen Mund. Mit großen Augen verfolgte Emma, wie er die klebrige Flüssigkeit von seinem Daumen leckte.
„Haselnuss", murmelte er. „Köstlich, aber ich habe noch keine Schokolade abbekommen." Ehe Emma seine Absicht durchschauen und ihn mit irgendeiner lächerlichen Anstandsregel daran hindern konnte, umfasste er ihr Handgelenk, hob ihre Hand und öffnete den Mund. Dann schlossen sich seine Lippen um ihre Finger und die verbliebene Hälfte des Trüffels.
Sie schrak zusammen und wollte ihre Hand aus seiner lösen, aber er gestattete es nicht. Sie schaute zur Tür und wieder zu ihm, als er mit dem Mund sanft die Praline aus ihren Fingern zog.
Harry merkte, dass ihre Lippen bebten und ihr Atem schneller ging; Ganz deutlich nahm er die Veränderung an ihr wahr, eine typische Reaktion weiblicher Leidenschaft, gedämpft von Sittsamkeit. Von Unschuld. Ihm wurde glühend heiß.
Eine feine Röte war in ihre Wangen gestiegen. Wieder sah sie sich verzweifelt um und versuchte, ihre Hand wegzuziehen, aber er ließ sie nicht los. „Noch nicht", murmelte er. „Ich habe noch etwas
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