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Ich muss Sie küssen, Miss Dove

Titel: Ich muss Sie küssen, Miss Dove Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lee
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übersehen."
    Er schluckte den Trüffel herunter und nahm ihren Zeigefinger in den Mund. Sie stieß einen entrüsteten Laut aus, und Harry wusste, dass sie schockiert war über das, was er tat, aber auch über die Reaktion ihres Körpers. Er spürte, wie ihr Puls unter seinem Daumen raste, als er die letzten Schokoladenreste betont langsam und genießerisch von ihrer Fingerspitze naschte.
    Ihr Widerstand schmolz dahin, während er von einem Finger nach dem anderen die Schokolade abschleckte. Ihre Hand entspannte sich in seinem Griff. Ihre Lider senkten sich, und schließlich schloss sie die Augen ganz. Als er ihre Hand umdrehte und einen Kuss auf die Handfläche hauchte, entfuhr ihr ein leiser Seufzer. Sie legte die Hand auf seine Wange und streichelte sie selbstvergessen. Harrys Verlangen loderte auf.
    Er liebkoste ihre Handfläche mit der Zungenspitze und merkte, wie sie ein Schauer überlief. Dann hielt er inne und betrachtete Emmas Gesicht, während er ihre Hand sinken ließ.
    Sie spürte wohl, was er vorhatte, denn sie hob ihren Kopf, ohne die Augen aufzuschlagen, und öffnete leicht die Lippen. Dies geschah aus reinem Bauchgefühl heraus, wie Harry vermutete; wahrscheinlich war ihr gar nicht bewusst, worum sie so anmutig bat, sonst hätte sie ihm sicherlich Einhalt geboten. So aber waren all ihre Sinne nur auf eines gerichtet — das Erwachen ihres eigenen Verlangens.
    Es war das Verführerischste, was Harry je erlebt hatte.
    Leider blieb ihm nicht viel Zeit, sich daran zu erfreuen. Schritte im Flur verrieten ihm, dass jemand kam, und nachdem er ihre Hand schnell noch einmal geküsst hatte, ließ er sie los. Als Bourget wieder den Raum betrat, war Emmas verträumter Gesichtsausdruck verschwunden, und Harry stand an der anderen Seite des Tisches und tat, als überlegte er, welchen Trüffel er probieren sollte.
    „Ich bitte nochmals um Verzeihung", sagte der Franzose und kam auf sie zu.
    „Machen Sie sich deswegen keine Gedanken, Monsieur", versicherte Harry und nahm einen Trüffel. Den Blick auf Emma gerichtet fügte er hinzu: „Wir haben uns blendend unterhalten."
    Sie gab einen erstickten Ton von sich und errötete.
    Schmunzelnd biss Harry ein Stück von seinem Trüffel ab.
    Emma stützte sich auf den Tisch, beugte sich vor und sah ihn aus schmalen Augen an. „Ich dachte, Sie mögen keine Schokolade."
    Er machte ein unschuldiges Gesicht. „Aber Miss Dove, wie kommen Sie denn bloß darauf?"

11. KAPITEL
Liebste Emma, es ist meine Pflicht gewesen, dich auf dem Weg ins Erwachsenenleben zu leiten, dich zu Anstand und Sitte zu erziehen, dich sicher durch die schwierigen Fahrwasser deiner Jugendzeit zu lotsen und dich vor dem Unheil auf der Welt zu schützen. Ich habe versucht, in dir ein tiefes Gespür dafür zu verankern, was es bedeutet, eine Dame zu sein, und wenn ich dich jetzt so ansehe, dann weiß ich, dass ich Erfolg gehabt habe. Ich bin stolz auf dich, meine Liebe, sehr, sehr stolz.
    Mrs. Lydia Worthingtons letzte Worte an ihre Nichte, 1888

    Emma befürchtete, dass Tante Lydia im Moment gar nicht stolz auf ihre Nichte gewesen wäre. Als sie und Marlowe das Au Chocolat verließen, sprachen sie beide kein Wort, und Emma war froh darüber, denn sie war innerlich so aufgewühlt, dass sie zu einer Unterhaltung gar nicht fähig gewesen wäre.
    Sie wusste, dass gewisse Dinge nicht richtig waren. So war sie erzogen worden. Es war falsch gewesen zuzulassen, dass ein Mann Schokolade von ihren Fingern leckte. Es war falsch gewesen zuzulassen, dass ein Mann sich beim Picknick so nahe neben sie setzte, dass sein Bein ihres berührte und dass seine Hand ihren Oberschenkel streifte. Wäre Tante Lydia bei beiden Anlässen dabei gewesen, wäre es niemals zu solchen Freiheiten gekommen. Allein ihre Anwesenheit hätte wahrscheinlich schon als Abschreckungsmittel geholfen, und wenn nicht, dann gewiss ihr dezentes Hüsteln oder ein vielsagendes Klopfen mit ihrem Sonnenschirm.
    Mit Ausnahme von Beatrice und ihrem wunderbaren Mr. Jones, für die sie die Regeln ein wenig zurechtgebogen hatte, hatte Emma jungen Frauen in ihren Manuskripten immer geraten, die Grenzen des Anstands peinlich genau einzuhalten und sie niemals zu überschreiten. Mrs. Bartleby hätte in einer Situation wie an diesem Nachmittag Marlowe sofort Einhalt geboten und ihm eine Ohrfeige gegeben.
    Emma befürchtete, dass sie nicht annähernd so energisch war wie das von ihr erfundene Geschöpf.
    Als Marlowe die Schokolade von ihren Fingern geleckt und ihre

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