Ich muss Sie küssen, Miss Dove
etwas kommst, ist mir ein Rätsel", brummte er.
„Schlichtes Kombinieren von Tatsachen, lieber Bruder. So etwa wie Sherlock Holmes, weißt du." Sie wurde ernst. „Aber ich brauche Hilfe bei der Hochzeit, wirklich, und ein paar von Mrs. Bartlebys klugen Ideen kämen mir sehr gelegen. Wäre es denn in Ordnung, wenn ich Miss Dove um ihre Hilfe bitten würde?"
Er warf ihr einen fragenden, Blick zu. „Könnte ich dich davon abhalten?"
„Natürlich! Wenn du Nein sagst, nehme ich das hin. Du sagst nur nie Nein. Du verwöhnst mich. Uns alle, ehrlich. In deinen Augen ist das Beste für uns gerade gut genug."
Harry sah seine Schwester an und wollte ihr sagen, warum das so war. Weil er sie alle liebte. Weil er das Familienoberhaupt war und sich um sie kümmern musste. Eher würde er sich das Herz aus der Brust reißen, als zuzulassen, dass ihnen etwas zustieß. Er wollte ihr sagen, dass er nur das Beste für sie wollte, weil nichts von dem, was er ihnen geben konnte, die Tatsache aufzuwiegen vermochte, dass sie in den fünf schmerzhaften Jahren vor seiner Scheidung felsenfest an seiner Seite gestanden hatten. In der Gesellschaft waren sie genauso in Ungnade gefallen wie er, aber sie hatten sich nie darüber beklagt und seine Entscheidung nie in Frage gestellt. Was er ihnen auch gab, das allein konnte er nie wiedergutmachen.
Harry schaute seiner Schwester in die Augen und wollte ihr all das mitteilen. „Diana, ich ..." Die Worte blieben ihm in der Kehle stecken. Was für eine Ironie. So wortgewandt er sonst war, so schwer fiel es ihm, die ernsthaften, wichtigen Dinge über die Lippen zu bringen. Er räusperte sich und wandte den Blick ab. „Ja, nun, bald bist du ja Rathbournes Problem", räusperte er sich lächelnd. „Der arme Kerl. Nur gut, dass er so viel Geld hat. Das braucht man auch, wenn man dich verwöhnen will."
Sie versetzte ihm einen Stoß in die Rippen.
„Ihre Kutsche, Mylord." Jackson trat vom Fenster zurück, um Harry die Haustür aufzuhalten.
Er wollte gerade losgehen, doch seine Schwester rief ihm nach: „Harry?"
Er drehte sich noch einmal um. „Hm?"
„Wie lieben dich auch.”
Harry nestelte an seiner Krawatte und ihm wurde ganz warm ums Herz. „Hol dir so viele kluge Ideen von Mrs. Bartleby wie du brauchst", meinte er. „Hauptsache, du gehst diskret vor."
Diana verstand sofort. „Weil Miss Dove nicht den entsprechenden gesellschaftlichen Hintergrund hat?" Als er nickte, fuhr sie fort: „Die Leute sind so dumm, nicht wahr?"
„Sie würden sich mehr als nur dumm verhalten", erklärte er im Gehen. „Sie würden grausam sein. Daher ist es wichtig, Emmas Identität geheim zu halten. Ich möchte sie nicht dem Spott der Leute aussetzen."
Emma? Diana starrte erstaunt auf die sich hinter ihrem Bruder schließende Tür. Er hatte Miss Dove beim Vornamen genannt. Harry konnte zwar bisweilen sehr unkonventionell sein, aber gewisse Dinge waren einem einfach von Kindesbeinen an eingebläut worden, und dazu gehörte, dass man eine Frau nicht beim Vornamen nannte. Es sei denn ...
„Gütiger Gott", murmelte Diana, was ihr einen fragenden Blick von Jackson eintrug. Sie schüttelte den Kopf, sagte aber nichts, denn sie war viel zu sehr mit dem ungeheuerlichen Gedanken beschäftigt, der sich in ihrem Kopf zu formen begann. Ein Mann nannte eine Frau nur dann beim Vornamen, wenn sie eine intime Bekannte war.
Diana dachte an das einzige Mal zurück, als sie Harrys früherer Sekretärin begegnet war, und einen Moment lang kamen ihr Zweifel. Es waren immer Gerüchte um Harry und Miss Dove im Umlauf gewesen, doch Diana hatte ihnen nie Glauben schenken können. So weit sie sich erinnerte, hatte Miss Dove eher unscheinbares rötlich braunes Haar. Sie war nicht gerade unattraktiv, aber eine exotische Schönheit war sie nicht. Und ganz gewiss hatte sie kein launisches Temperament. Sie war ganz und gar nicht der Typ Frau, den Harry bevorzugte, und Harry hätte dem sicher als Erster zugestimmt.
Andererseits hatte Diana Harry in den letzten fünf Jahren zahllose dunkelhaarige, temperamentvolle Schönheiten vorgestellt, ohne damit Erfolg zu haben. Vielleicht gefielen Harry doch ganz andere Frauen, als sie gedacht hatte — und er vielleicht auch.
Diana lächelte. Miss Doves Hilfe in Anspruch zu nehmen, konnte sich möglicherweise in mehr als einer Hinsicht als fruchtbar erweisen.
Emma war fest entschlossen, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Sie durfte sich nicht länger durch müßige Tagträumereien von
Weitere Kostenlose Bücher