Ich muss Sie küssen, Miss Dove
ihrem Zeitplan abbringen lassen. Sie würde auch nicht mehr enttäuscht sein, wenn Marlowe ihr die überarbeiteten Artikel mittels eines Kuriers zustellen ließ, statt sich mit ihr persönlich zu treffen. Sie würde sein Necken, sein Lachen und seine Gesellschaft nicht vermissen. Und ganz sicher würde sie sich nicht mehr vorstellen, wie er Schokolade von ihren Fingern leckte.
Schon vor Jahren war sie zu dem Schluss gekommen, dass er nicht der Typ Mann war, den eine vernünftige Frau sich an ihrer Seite wünschen sollte. Eine Frau mit nur einem Funken Verstand würde so schnell sie konnte vor einem Mann davon laufen, der romantische Affären mit einem Brief beendete; der den Hang hatte, sich oft und Hals über Kopf zu verlieben; der den Ruf einer Frau aufs Spiel setzte, nur um ein wenig Vergnügen zu haben; der geschieden war und nicht vorhatte, jemals wieder zu heiraten. Und obwohl Emma sich bemühte, etwas wagemutiger zu werden, war sie doch im Herzen immer noch eine vernünftige Frau.
Nein, es war sicher das Beste, wenn sie sich voneinander fernhielten wie früher auch in der Vergangenheit. Marlowe schien derselben Ansicht zu sein. Dass er sie in den letzten beiden Tagen gemieden hatte, war der Beweis dafür.
Emma starrte auf das leere Blatt in ihrer Schreibmaschine und fragte sich, warum sie sich so trostlos fühlte. Was war denn nur mit ihr los? Sie lebte jetzt den Traum, den sie seit Jahren herbeigesehnt hatte, und sie machte sich ganz gut dabei. Die ersten beiden Ausgaben mit ausführlicheren Beiträgen von Mrs. Bartleby waren ein gewaltiger Erfolg gewesen. Sie hatte ein hübsches, behagliches Zuhause, einen netten, angenehmen Freundeskreis und ein nettes, angenehmes Leben. Was wollte sie mehr?
Ein lautes Klopfen an der Tür riss Emma aus ihren Gedanken. Sie stand auf, durchquerte das Zimmer und öffnete. Mrs. Morris stand draußen im Flur mit einer Visitenkarte in der Hand.
„Lady Eversleigh wünscht Sie zu sprechen, Emma", verkündete sie und klang ziemlich beeindruckt. Lady Eversleigh war Marlowes Schwester, und trotz des leicht beschädigten gesellschaftlichen Status der Familie Marlowe vermochte eine Adelige den Mittelstand immer zu beeindrucken. Mrs. Morris überreichte Emma die Karte mit einer übertriebenen Geste. „Sie wartet unten im Empfangssalon auf Sie."
Verblüfft betrachtete Emma die Karte. Sie konnte sich nicht denken, aus welchem Grund die Baroness sie wohl aufsuchen mochte. „Sagen Sie ihr bitte, ich komme sofort."
Mrs. Morris verschwand, und Emma versuchte sich zu sammeln. Was auch immer der Anlass für diesen unerwarteten Besuch war, vor Marlowes Schwester konnte sie schließlich keinen Tagträumen von ihm und seinen Küssen nachhängen.
Wenig später betrat Emma den Salon, wo die Baroness freundlich mit Mrs. Morris auf dem Sofa plauderte. Emma war Marlowes Schwester vor vier Jahren einmal begegnet, und als sie Diana jetzt wiedersah, staunte sie erneut über die große Ähnlichkeit zwischen Bruder und Schwester. Diana hatte das gleiche dunkelbraune Haar und die gleichen leuchtend blauen Augen.
Lady Eversleigh erhob sich und kam Emma mit ausgestreckten Händen entgegen. „Miss Dove, wie geht es Ihnen? Wir sind uns vor ein paar Jahren schon einmal vorgestellt worden, aber Sie werden sich wahrscheinlich nicht mehr daran entsinnen."
„0 doch! Ich war in das Haus Ihres Bruders am Hanover Square gekommen, um ihm ein paar Verträge zur Unterschrift zu bringen. Ich stand in der Eingangshalle, und Sie liefen an mir vorbei, weil Sie wohl ausgehen wollten. Sie fragten mich, wer ich sei und beharrten dann darauf, ich sollte nicht in der Halle, sondern im Salon warten. Glauben Sie wirklich, ich würde mich nicht an eine so freundliche Geste erinnern?"
„Freundlich? Unsinn. Das war reine Höflichkeit. Es war unverzeihlich von Jackson, Sie in der Eingangshalle warten zu lassen."
Emma wusste sehr wohl, dass eine einfache Sekretärin normalerweise nicht in den Salon eines Lords gebeten wurde. Marlowes Butler war vorzüglich ausgebildet, denn schließlich war sie keine Lieferantin, die den Dienstboteneingang hätte benutzen können, und auch keine gute Bekannte, die er in den Salon hätte führen müssen. Lady Eversleigh scherte sich eindeutig genauso wenig um die gesellschaftlichen Gepflogenheiten wie ihr Bruder.
„Außerdem", fuhr die Baroness fort, während sie sich wieder hinsetzte, „handelte ich aus einem großen Gefühl der Dankbarkeit Ihnen gegenüber."
„Dankbarkeit?",
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