Ich muss Sie küssen, Miss Dove
besprechen hatte.
Distanz erwies sich jedoch nicht als das Heilmittel, das er sich erhofft hatte. Wieder und wieder ertappte er sich dabei, dass seine Gedanken zu jenem Nachmittag im Au Chocolat zurück wanderten. In seiner Fantasie durchlebte er immer wieder diesen Augenblick, als er gesehen hatte, wie die Leidenschaft in Emma erwacht war.
Bis zu diesem Moment hatte er sich nicht träumen lassen, dass der spröden, korrekten Miss Dove eine solch Sinnlichkeit innewohnte. Jetzt, da er die Wahrheit kannte, behagte sie ihm nicht sonderlich. Bei einer Frau wie Miss Dove war an eine Liaison gar nicht erst zu denken, und diese Tatsache irritierte ihn so sehr, dass ihm nichts anderes übrig blieb als seine Anstrengungen, sich von ihr fernzuhalten, zu verdoppeln.
Wenigstens verlief sein Leben zu Hause wieder in geordneteren Bahnen. Diana hatte sich wohl endlich damit abgefunden, dass weder eins der Dillmouth-Mädchen noch eine der Abernathy-Cousinen die geeignete Frau war, ihn endlich erneut vor den Altar zu locken. Nachdem die vier jungen Damen zu Harrys großer Erleichterung wieder abgereist waren, war im Marlowe'schen Haushalt die Normalität zurückgekehrt, in den meisten Bereichen zumindest.
Das Frühstück blieb jedoch die Tageszeit, zu der man am liebsten über die wundervolle Mrs. Bartleby diskutierte. Eigentlich hätte Harry diese Gespräche erträglicher finden müssen, seit Emma für ihn und nicht mehr für Barringer arbeitete, doch nun waren die Damen des Hauses wild entschlossen zu erfahren, wer Mrs. Bartleby denn nun in Wirklichkeit war. Da sie herausgefunden hatten, dass er die Social Gazette zusammen mit Mrs. Bartlebys Kolumne aufgekauft hatte, ließen sie keine Gelegenheit aus, ihm ihren wirklichen Namen und ihren familiären Hintergrund entlocken zu wollen.
Harry war jedoch nicht dumm. Seinen Schwestern hätte er das Geheimnis jederzeit anvertrauen können, aber bei den beiden anderen Frauen in seiner Familie war er sich da nicht so sicher. Obwohl sie sich stets würdevoll zurückhaltend gab, war seine Großmutter eine entsetzliche Klatschbase. Und was seine Mutter betraf, die gute Seele, hätte sie nicht einmal ein Geheimnis für sich behalten können, wenn es um ihr Leben gegangen wäre. Harry war fest entschlossen, kein Sterbenswörtchen verlauten zu lassen.
„Warum bist du nur so stur?” Louisa sah ihn enttäuscht an. „Sie arbeitet doch jetzt für dich, nicht wahr? Ich verstehe nicht, warum du uns nicht einfach verrätst, wer sie ist."
„Es ist von entscheidender Wichtigkeit, dass ihre Anonymität gewahrt bleibt", antwortete er und strich Butter auf seinen Toast.
„Nun, es ist ja nicht so, dass wir das sofort überall weitererzählen würden", bemerkte seine Mutter verschnupft. „Wir können sehr diskret sein, wenn ich das so sagen darf."
„Du bist .die Diskretion in Person, Mama", behauptete Harry mit todernster Miene. „Ich muss jedoch Mrs. Bartlebys Privatsphäre respektieren."
Die Damen seines Haushalts waren gezwungen, das zu akzeptieren, doch ihm gefiel nicht, dass Diana ihn während des ganzen Frühstücks nachdenklich betrachtete. Als er sich erhob, um seine Kutsche herbeizuordern, folgte sie ihm unter dem Vorwand, sie wolle Jackson bitten, die zweite Kutsche für sie vorfahren zu lassen, da sie auszugehen gedachte. Harry kannte seine Schwester jedoch zu gut; er wusste, die zweite Kutsche war nur eine Ausrede.
„Hast du etwas von Miss Dove gehört?", fragte sie ihn, als sie zusammen in der Eingangshalle warteten. „Hat sie schon eine neue Stelle gefunden?"
Er drehte sich um und warf ihr einen scharfen, prüfenden Blick zu, aber Diana sah ihn gar nicht an. Sie schien voll und ganz darauf konzentriert zu sein, ihre Handschuhe anzuziehen.
„Da bin ich mir ganz sicher", erwiderte er.
„Hm, vielleicht schreibt sie ja jetzt diese Bücher über Etikette?"
„Vielleicht. Ich weiß es nicht."
„Ach nein?" Diana drehte sich um und schmunzelte ironisch, doch ehe er antworten konnte, fuhr sie bereits fort: „Ich frage mich, ob ich Miss Dove nicht um ihren Beistand bei meinen Hochzeitsvorbereitungen bitten soll. Sie ist so tüchtig, und ihre Ratschläge wären sicher unverzichtbar. Selbst Mrs. Bartleby würde Miss Doves Kenntnisse in solchen Dingen wohl zweifellos zu schätzen wissen, glaubst du nicht?"
„Diana ...", fing er an, aber sie fiel ihm ins Wort.
„Keine Sorge, Harry." Ihr Lächeln vertiefte sich. „Ich werde es niemandem verraten."
„Wie du immer hinter so
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