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Ich muss Sie küssen, Miss Dove

Titel: Ich muss Sie küssen, Miss Dove Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lee
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gehütet werden. In diesem Bestreben, meine Lieben, suchen Sie nicht Beistand bei den Herren in Ihrem Bekanntenkreis. Leider legen diese es oft genauso angestrengt darauf an, Sie Ihrer Tugend zu berauben, wie Sie sich bemühen, sie zu bewahren.
    Mrs. Bartlebys Ratgeber für Junggesellinnen, 1893

    Es war das Knarren einer Treppenstufe, das Emma aus ihrer glückseligen Benommenheit in die Wirklichkeit zurückholte. Sie wandte sich um und sah Mrs. Inkberry auf der Treppe stehen, klein und rundlich im Sonnenschein, der durch das Fenster neben der Treppe fiel.
    Sie hatte beobachtet, was geschehen war.
    Emma wusste es sofort. Die Unmutsfalten im sonst so gutmütigen Gesicht der älteren Dame ließen keinen Zweifel zu. Emmas Glücksgefühl verflog schlagartig.
    Mrs. Inkberry blickte in die Richtung der Tür, durch die Marlowe verschwunden war, dann wieder zu Emma. Die Unmutsfalten auf der Stirn vertieften sich. „Kommen Sie mit nach oben, Emma, und trinken Sie eine Tasse Tee mit mir."
    Ohne Emmas Antwort abzuwarten, drehte sie sich um und stieg wieder die Treppe hinauf. Natürlich wäre es für Emma undenkbar gewesen, die Einladung abzulehnen. Der guten Mrs. Inkberry etwas abzuschlagen wäre eine ebenso kränkende Unhöflichkeit gewesen, wie Tante Lydia eine Bitte zu verweigern. Mit zunehmender Betroffenheit folgte sie der Freundin ihrer Tante nach oben, einen Flur entlang und in den Salon.
    Mrs. Inkberry läutete nach Tee und ließ sich auf dem Sofa nieder. Sie klopfte auf den freien Platz neben sich, damit Emma sich zu ihr setzte, aber sie schwieg, bis das Dienstmädchen mit dem Teetablett erschien.
    Annie knickste und lächelte Emma zur Begrüßung zu. „Guten Tag, Miss Emma."
    Emma lächelte gezwungen zurück.
    Mit leisem Klirren stellte Annie das Tablett neben ihrer Herrin ab. „Der gnädige Herr kommt nicht nach oben, Madam?"
    „Noch nicht. Annie, da müsste ein dunkelhaariger Herr irgendwo unten im Laden sein, ein wohlhabend aussehender Gentleman in schwarzem Gehrock und mit gestreifter Hose. Nehmen Sie ihn beiseite und richten Sie ihm aus, dass es mein Wunsch ist, er möge den Laden auf der Stelle verlassen."
    Emmas Verlegenheit wuchs mit jedem Wort und sie senkte den Kopf. Marlowes Kuss brannte noch immer auf ihren Lippen, und sie hatte das Gefühl, als müsste ihr das jeder ansehen können.
    „Und dann", fuhr Mrs. Inkberry fort, „sagen Sie Mr. Inkberry, dass sein Tee in einer halben Stunde fertig sein wird. Sorgen Sie dafür, dass die Köchin zu diesem Zeitpunkt eine frische Kanne bereithält. Und schließen Sie die Tür, wenn Sie hinausgehen."
    „Sehr wohl, Madam."
    Das geblümte Kleid und die gestärkte weiße Schürze des Dienstmädchens raschelten, als Annie hinausging. Ein Klicken verriet Emma, dass die Tür geschlossen war, dennoch starrte sie weiter auf ihren Schoß und wartete, während die ältere Frau den Tee einschenkte.
    Erst nachdem Mrs. Inkberry ihr eine Tasse des duftenden Getränks gereicht hatte, brach sie ihr Schweigen. „Emma, mein liebes Kind."
    Genau das, was Tante Lydia gesagt hätte, liebevolle Worte, der Tonfall ernst und mitfühlend, begleitet zum Schluss von einem kaum wahrnehmbaren Seufzer der Enttäuschung.
    Natürlich war Mrs. Inkberry von Emma enttäuscht. Jeder, der sie liebte und sich um sie sorgte, würde das sein. Sie hatte einem Mann Übergriffe gestattet und nichts unternommen, um ihn davon abzuhalten. Schlimmer noch, bei der ersten Berührung durch seine Lippen hatte sie ein ganzes Leben in sittlicher Rechtschaffenheit hinter sich geworfen. Sie hatte weit mehr getan, als nur seinen Kuss zu dulden. Sie hatte ihn mit Leib und Seele genossen. Selbst jetzt reichte die Erinnerung daran aus, dass ihre Schuldgefühle in Freude umschlugen.
    Mrs. Inkberrys nächste Worte machten das glücksselige Gefühl allerdings zunichte. „Emma, Ihre Tante hat Sie äußerst prinzipientreu erzogen und Ihnen beigebracht, das Richtige genau vom Falschen unterscheiden zu können. Mir ist aber auch bewusst, dass Sie ohne ihre leitende Hand jetzt bisweilen etwas ...", sie machte eine bedeutungsvolle Pause, „in Verwirrung geraten könnten."
    Diese Ausführung beschrieb den momentanen Zustand von Emmas Verstand und ihre unerklärlichen Handlungsweisen in letzter Zeit ziemlich zutreffend. Sie nickte zustimmend.
    „Jetzt, da Lydia nicht mehr am Leben ist", fuhr die ältere Dame fort, „gibt es niemanden, der Sie beraten kann. Niemanden außer mir selbst, meine ich. Ich kenne Sie, seit Sie ein

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