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Ich muss Sie küssen, Miss Dove

Titel: Ich muss Sie küssen, Miss Dove Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lee
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bewegt hatte, dass ihm klar geworden war, dass sie noch nie, zuvor geküsst worden war. Woran er sich jedoch am lebhaftesten erinnerte, war ihr Gesicht danach. Sie hatte zwar nicht gelächelt, aber ihre Augen hatten so geleuchtet vor erstaunter Freude, dass ihm für einen Moment schwindelig geworden war. Noch nie im Leben war ihm eine Frau begegnet, die so strahlend schön aussah. Er hatte seine ganze Willenskraft aufbringen müssen, sie loszulassen und wegzugehen.
    Eine halbe Ewigkeit hatte er zwischen Büchern von Byron, Shelley und anderen toten Dichtern darauf gewartet, dass sie ihm folgte. Statt Emma war jedoch ein Dienstmädchen mit der Nachricht aufgetaucht, dass die Hausherrin ihn aufforderte, das Haus zu verlassen. Natürlich hatte er sofort den Grund dafür verstanden. Sie waren beobachtet worden, und der Nachricht des Mädchens konnte er auch entnehmen, von wem.
    Emma hatte ihm erzählt, Mrs. Inkberry wäre die Freundin ihrer Tante Lydia gewesen, und er konnte sich gut vorstellen, auf welch beschämende Art Emma die Leviten gelesen worden waren. Er schaute wieder zu ihrem Fenster hinauf. Wie er Emma kannte, machte sie sich gerade die größten Vorwürfe und ging hart mit sich ins Gericht. Er hatte noch nie eine Frau gekannt, die derart von Anstandsregeln eingezwängt wurde. Harry vermutete, dass dafür ihr Vater und ihre Tante verantwortlich waren.
    Er hingegen hielt überhaupt nichts von Anstandsregeln. Er wollte Emma wieder küssen, wieder und immer wieder. Ein einziger Kuss von ihr hatte auf ihn wie Opium gewirkt, denn jetzt sehnte er sich nach ihrer Nähe wie ein Süchtiger. Deshalb befand er sich jetzt auch hier, voller durch und durch unehrenhafter Absichten, und dachte fieberhaft darüber nach, wie er einen sicheren Weg hinauf in Emmas Räumlichkeiten finden konnte. Wenn er einmal dort war, würde sie hoffentlich alle Anstandsregeln in den Wind schlagen und ihm Küsse schenken — und noch vieles mehr.
    Wenn er einmal in ihrer Wohnung war, glaubte er gute Chancen zu haben, sie von seiner Sichtweise dieses Themas zu überzeugen. Ihre Sittsamkeit war wie ein Schutzschild, dahinter war sie butterweich. Sie wollte ihn,, und er wusste, dieses Verlangen konnte er nutzen, zusammen mit seiner Erfahrenheit, um ihnen beiden Lust zu bereiten. Zuerst würde er sie mit seinen Küssen trunken machen, so wie sie ihn trunken gemacht hatte. Dann würde er sie auf diesen exotischen türkischen Teppich legen, ihr die unsinnigen Vorstelllungen austreiben, wie Männer und Frauen sich angeblich zu verhalten hatten, und ihr zeigen, was Mann und Frau in Wirklichkeit miteinander tun konnten.
    Zwei ältliche Matronen tauchten in seinem Blickfeld auf. Sie warfen Harry und seiner teuren, eleganten Kleidung einen langen neugierigen Blick zu, als sie an ihm vorübergingen. Er sah sich um und merkte, dass ein paar Jungen, die an der Ecke mit Murmeln spielten, ihr Spiel unterbrachen und ihn ebenfalls neugierig musterten. Ihm war klar, dass er in dieser Enklave der Klöppelspitzengardinen und bürgerlicher Ehrbarkeit nicht länger verweilen konnte, ohne noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
    Zum Teufel damit, dachte er. Wen kümmert schon die Meinung anderer Leute?
    Er richtete sich auf, hob das Bücherpaket hoch und machte sich auf den Weg zu Emmas Haustür, blieb dann aber aus welchem Grund auch immer mitten auf der Straße stehen.
    Leise fluchend schlug er eine andere Richtung ein und lief auf die an der Ecke spielenden Jungen zu. Wenige Minuten später war einer der Jungen um einen Sixpence reicher, besaß Emma die vollständige Ausgabe von Burtons Erzählungen aus 1001 Nacht , und Harry fuhr in einer Mietdroschke nach Hause, wobei er sich fragte, ob er womöglich derjenige mit einer Geisteskrankheit war.

15. KAPITEL
Gib mir einen Kuss und noch ein Dutzend im Nu; zu diesen zwölfen füg hundert hinzu.
    Frei nach Robert Herrick 1648

    Tante Lydia hätte die Bücher zurückgegeben. Ihr Vater hätte sie verbrannt. Emma behielt sie.
    Sie geriet bei diesem Entschluss nicht einmal ins Wanken, und das überraschte sie nicht wenig. Was noch überraschender war, sie stellte die anstößige Sammlung auf ihr Regal im Wohnzimmer, wo sie sie von ihrem Schreibtisch aus bestens sehen konnte. Vielleicht war es in gewisser Hinsicht Heuchelei, aber jedes Mal, wenn sie von ihrer Arbeit aufschaute und ihr Blick auf die leuchtend roten Buchrücken fiel, musste sie lächeln. Die Bände waren wie ein köstliches Geheimnis, an dem sie sich

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