Ich muss Sie küssen, Miss Dove
Emma?"
Er hatte sie irgendetwas gefragt. Sie blinzelte. „Wie bitte?"
„Sie sagten, Sie würden mich nicht mögen", erinnerte er sie und zeichnete mit der Fingerspitze sacht den Umriss ihrer Ohrmuschel nach. Sie erschauerte. „Sie sagten, Sie fänden mich lasterhaft."
„Das sind Sie auch." Leider schien diese Tatsache keine ernüchternde Wirkung auf ihre umnebelten Sinne zu haben. Emma schloss die Augen und versuchte, an ihr Gespräch mit Mrs. Inkberry über Tugend zu denken, aber das half auch nicht.
Marlowe liebkoste zärtlich mit dem Daumen ihr Kinn. „ Und Sie mögen mich immer noch nicht?"
„Es stimmt nicht, dass ich Sie nicht gemocht habe."
Er stieß einen ungläubigen Laut aus, und sie öffnete die Augen.
„Ich weiß, ich habe das behauptet und hielt es in dem Moment auch für wahr, aber es stimmt nicht. Tatsächlich, ich habe vieles an Ihnen missbilligt und ich war auch verärgert, weil ich das Gefühl hatte, Sie gäben mir als Schriftstellerin nicht die Chance, die ich eigentlich verdient gehabt hätte. Und es besteht kein Zweifel, dass Sie sich meiner viel zu sicher waren, als ich noch Ihre Sekretärin war. Ich habe das gehasst und ich werde es auch nie wieder zulassen, wie eine Selbstverständlichkeit behandelt zu werden. Aber so sehr ich mich bemühte, Sie nicht zu mögen, es ist mir nie wirklich gelungen." Sie schluckte. „Jedes Mal, wenn ich richtig wütend auf Sie bin, schaffen Sie es irgendwie, mich zu besänftigen. Sie stimmen mich milde, oder sagen genau das Richtige — oder Sie bringen mich zum Lachen."
Er schmunzelte. „Das liegt vielleicht daran, dass ich trotz meiner Fehler ein sehr liebenswerter Zeitgenosse bin. Charmant, geistreich, bescheiden ..."
Sie lachte. Sie konnte nicht anders. Er war charmant, und darüber war sie sich immer im Klaren gewesen, obwohl sie es nie so zu schätzen gewusst hatte wie jetzt. Doch das bedeutete noch lange nicht, dass er das ausnutzen durfte. Als er ihr seine Hand in den Nacken legte und er sich mit dem Kopf näher zu ihr neigte, klappte sie den Fächer zu und hielt ihn sich vor den Mund, ehe Marlowe sie küssen konnte. Er richtete sich auf und ließ sie los. „Ist das auch so ein Zeichen?"
Sie nickte und ließ den Fächer sinken. „Es bedeutet, dass ich Ihnen nicht traue."
„Emma!", rief er aus und tat gekränkt. Er legte ihr eine Hand um die Taille. „Sie trauen mir nicht?"
Sie schob seine Hand fort. „Kein bisschen."
„Es gefällt Ihnen tatsächlich, mir in der letzten Zeit das Leben schwer zu machen, nicht wahr?"
Sie lächelte spielerisch. „Es hat so seinen Reiz, ja."
„Genießen Sie es, solange Sie noch können, denn ich werde mich rächen. So, wo waren wir stehen geblieben?" Er runzelte die Stirn und gab vor, angestrengt nachzudenken. „"Ach, ja. Ich habe also das Zeichen richtig gedeutet, dass Sie mich kennenlernen wollen. Also ist vorgezeichnet, wie der nächste Schritt aussehen muss." Er verneigte sich vor ihr. „Miss Dove, darf ich Sie um diesen Tanz bitten?"
„Wir können gar nicht tanzen, denn wir haben keine Musik."
„Das ist ein verzauberter Augenblick für uns, zerstören Sie ihn nicht mit solchen Kleinigkeiten." Er nahm ihre Hand und legte den anderen Arm um ihre Taille. „Wir könnten selbst singen."
„Ich singe nicht", erklärte sie, während sie den Fächer in ihre Tasche steckte und die Hand danach auf seine Schulter legte. „Als ich noch klein war, hörte ich einmal, wie der Vikar zu meinem Vater sagte, ich träfe keinen Ton. Von da an trug mein Vater mir auf, im Gottesdienst nicht mehr mitzusingen." Sie hielt inne und war selbst überrascht, dass die Erinnerung an eine so lange zurückliegende Begebenheit immer noch wehtat. Sie versuchte, mit einem Lächeln darüber hinwegzugehen. „Die Gemeinde war sicherlich sehr dankbar."
Marlowe erwiderte ihr Lächeln nicht, und seltsamerweise ließ ihn sein plötzlicher Ernst anziehender aussehen denn je. „Singen Sie so laut wie Sie möchten, Emma. Es ist mir vollkommen gleichgültig, wie falsch es klingen mag."
Ihre Augen fingen auf einmal zu brennen an und sie musste gegen aufsteigende Tränen ankämpfen. Hastig wandte sie den Blick ab. „Vielen Dank, aber ich fände es trotzdem besser, wenn Sie das Singen übernehmen würden."
„Also gut." Er schwenkte sie einmal im Kreis und begann zu zählen: „Eins, zwei, drei und vier ..." Und dann begann er, ausgelassenen einen der Spottverse aus den Bab Balladen von Gilbert zu schmettern.
Emma erkannte das
Weitere Kostenlose Bücher