Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)
aus?«
Schweigen. Dann kam doch eine Antwort: »Drei.«
»Sexualdelikte oder Morde?«
»Drei Morde.«
»Wann?«
»Bevor ich in Duisburg wohnte.«
Nachdem er sich zu diesem Bekenntnis durchgerungen hatte, wurde es wieder still. Mehr als vier Stunden waren vergangen. Emotionale und seelische Schwerstarbeit war geleistet worden – von beiden Parteien. Kroll hockte auf seinem Holzstuhl, in sich zusammengesunken, die Hände vor das Gesicht geschlagen. Er war fertig. Er wollte nicht mehr, er konnte nicht mehr. Die Fortsetzung der Vernehmung wurde auf den nächsten Tag verschoben. Es war bereits weit nach Mitternacht.
Friedhelm Kontermann hatte erkannt, dass Kroll weitere Geständnisse nur dann zu entlocken waren, wenn es gelingen würde, sich auf ihn richtig einzustellen. Strategie und Vorgehensweise mussten deshalb modifiziert werden. Nach der obligatorischen Frühbesprechung schrieb er am Vormittag des 8. Juli: »Bei der Erörterung weiterer Mordsachen im Bereich Ruhrgebiet bedarf es nun noch größerer Zurückhaltung bei den Vernehmungen, denn der wortkarge Kroll hat seine Verhaltensweise noch nicht geändert. Ich habe mit allen MK- (= Mordkommission, Anm. d. Autors) Angehörigen heute die weitere Vernehmungstaktik eingehend erörtert. Es wird wie folgt vorgegangen:
1) Die Vernehmungsteams werden neu gebildet.
2) Wird ein neuer Fall angesprochen, so darf dieses Team in der Mordsache früher selbst nicht mitgearbeitet haben. Ein zweites Team zieht die Akte oder andere vorhandene Unterlagen und steht danach mit diesem Wissen zur Verfügung, um die schon im groben niedergeschriebene Vernehmung ergänzen zu können. Auch bei der Ergänzung der Vernehmung dürfen auf keinen Fall solche Einzelheiten vorgehalten werden, die nur der Täter oder die Beamten, die den Tatbefund aufgenommen haben, wissen können.
3) Es ist beabsichtigt, Kroll mit allen MK-Mitgliedern vertraut zu machen. Der Zeitpunkt wird noch bestimmt. Er richtet sich nach seinen Stimmungen. Zum Teil sind depressive Verhaltensweisen bei ihm zu erkennen.
4) Staatsanwalt Mischko hat den Beschuldigten über die rechtliche Situation aufgeklärt.
5) Ich habe das Gefühl, daß sich Kroll an KOM (= Kriminalobermeister, Anm. d. Autors) Wippermann seelisch anlehnt. KOM Wippermann wird daher im ersten Vernehmungsteam arbeiten.
Der Sinn dieser Anordnung – Vermeidung eines ›Hineinfragens‹ – ergibt sich aus dem Wortlaut dieser Anordnung.«
Die Vernehmungsbeamten mussten ausgetauscht werden, sie hatten den Zenit ihrer Leistungs- und Leidensfähigkeit erreicht – und teilweise bereits überschritten. Kroll hatte sie mit seinen langwierigen, auch hart gesottene Kriminalisten schockierenden Bekenntnissen förmlich verschlissen; zu viele grausame Details waren ihnen entgegengeschleudert worden, und stets hatten die Beamten sich Kroll gegenüber freundschaftlich und kumpelhaft geben müssen, obwohl ihnen ganz anders zumute gewesen war. Die Nerven lagen blank. Es ging einfach nicht mehr.
Friedhelm Kontermann wollte durch seine »Anordnungen« vermeiden, dass Kroll ihnen Morde auftischen konnte, die er gar nicht begangen hatte. Denn bei einem labilen, stressanfälligen, unterwürfigen »Vernehmungstypen« wie ihm bestand die Gefahr, dass er aus purer Gefälligkeit Dinge lediglich repetierte, die ihm »vorgehalten« oder in ihn »hineingefragt« wurden. Zudem sollte Kroll so dazu gezwungen werden, von sich aus Detailwissen preiszugeben, über das zweifelsfrei nur der Täter verfügen konnte.
Um einen Überblick der »relevanten Delikte« zu bekommen und eine Vorauswahl treffen zu können, wurde das Landeskriminalamt in Düsseldorf ersucht, alle Sexualmorde in Nordrhein-Westfalen aufzulisten, die seit 1950 unaufgeklärt geblieben waren. Schnell war den Ermittlern klar geworden: Ein kriminalistischer Kraftakt stand bevor.
Am frühen Nachmittag des 8. Juli wurden der Presse die neuesten Erkenntnisse und Entwicklungen mitgeteilt. Was Kontermann den zahlreich erschienenen Medienvertretern mitzuteilen hatte, sollte wenig später hektische Betriebsamkeit auslösen: »Es handelt sich vermutlich um das größte Verbrechen in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik. Die Geständnisse dieses Mannes übertreffen an Schrecklichkeit alles bisher Dagewesene, Jürgen Bartsch eingeschlossen. Joachim Kroll ist einer der intensivsten Verbrecher der Kriminalgeschichte.« Anschließend bediente der Chef der Mordkommission die eifrig notierenden Journalisten mit
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