Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)
abgestochen.« Minuten später erzählte Kroll den erstaunten Beamten vom Mord an dem Maschinenbaupraktikanten Roman Berthold im August 1965 – im Flüsterton, ohne jede äußere Regung. Bis dahin hatten die Kriminalisten angenommen, Kroll sei vornehmlich für »Taten mit kleinen Mädchen gut«. Der Mord an dem damals 25-Jährigen passte nicht ins Bild. Das Phänomen Kroll blieb den Kripobeamten ein Rätsel. Keines der gängigen Schemata wollte auf ihn passen.
Auch nach seinem zweiten Mordgeständnis reagierte Kroll anders als erwartet. Er war nicht gelöst und auch nicht erleichtert, sondern niedergeschlagen. Der Kriminalobermeister Thomas Wippermann nahm sich seiner an. Der 28-Jährige versuchte, ihn aufzumuntern. Er erkundigte sich nach Krolls Mopeds, anderen Hobbys und Vorlieben, seinem Lieblingsgericht und der stattlichen Schallplattensammlung in seinem Wohnzimmer. So kam man ins Gespräch, so kam man sich näher. Anderthalb Stunden tauschten sich die beiden aus. Kroll sprach, gestikulierte, grinste, lachte. Man duzte sich.
Im richtigen Augenblick sprach ihn der Beamte an: »Achim, wenn du möchtest, kannst du dir jetzt mal alles von der Seele reden. Das muss dich doch unheimlich bedrücken. Mir kannst du es doch erzählen. Ich höre dir gerne zu.«
Kroll wurde nachdenklich. Doch er schwieg. Minutenlang. Dann nuschelte er unvermittelt in die beklemmende Stille hinein: »Die war ungefähr zehn Jahre alt.«
»Was hast du denn mit ihr gemacht?«
»Ich hab’ se kaputtgemacht.« Dann folgte wieder eine lange Pause.
Nach einer Viertelstunde, in der überhaupt nicht gesprochen worden war, fügte er kleinlaut hinzu: »Da war noch eine. In Walsum.«
Dann ging es Schlag auf Schlag. Zunächst schilderte Kroll in seiner Vernehmung den Mord an Monika Reimer, begangen am 4. Juni 1962. Er sprach leise, aber flüssig, stierte dabei überwiegend auf den Boden und hielt den Kopf in die rechte Hand gestützt. Er ließ bei seinen Erzählungen nichts aus. Die Beamten hatten Mühe, sich zu beherrschen, als Kroll ohne einen Anflug von Mitleid oder Reue sein Morden zu begründen versuchte: »Als ich das Mädchen am Hals würgte, habe ich beide Daumen auf den Kehlkopf gelegt und die anderen Finger zum Hals zugehalten. Ich lag mit meinem Körper auf dem Körper des Mädchens. Die Beine des Mädchens waren auseinander. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich zugedrückt habe. Ich habe aber auf jeden Fall so lange zugedrückt, bis es sich nicht mehr bewegt hat. Dabei habe ich mir auch das Gesicht des Mädchens angesehen. Ich habe dann gesehen, wie das Mädchen die Augen verdrehte, und auch gehört, wie es geröchelt hat. Dann merkte ich, wie das Mädchen so zusammengesackt ist.
Es hat mich interessiert zu sehen, wie ein Mensch stirbt. Ich war richtig froh, daß ich nun auch mal sehen konnte, wie ein Mensch stirbt. Als das Mädchen starb, blieben die Augen offen. Die Augen waren nach ganz oben raufgeschlagen. Man konnte bald nur noch das Weiße in den Augen sehen.«
Kroll sprach so leise, dass die Ermittler Mühe hatten, ihn überhaupt zu verstehen. Auch wenn gelegentlich energisch nachgefragt wurde, verkroch er sich nicht in seinem Schneckenhaus, er wurde nicht aggressiv und auch nicht laut. Wenn Kroll intensiv nachdachte oder grübelte, war er kaum oder gar nicht ansprechbar. Fragen, die ihm dann gestellt wurden, überhörte er, reagierte nicht. Er war wenig flexibel, es gelang ihm lediglich, sich auf eine Frage oder einen Aspekt zu konzentrieren. Alles andere überforderte ihn.
Um ein Höchstmaß an Authentizität zu gewährleisten, wurden die schwer verdaulichen Aussagen nun wortwörtlich protokolliert – soweit das möglich war. Insbesondere wurden für ihn typische Begriffe und Redewendungen wie »poppen«, »ficken«, »Schwanz« oder »Buchs« in die Vernehmungsniederschrift aufgenommen.
Schließlich schilderte Kroll die Tötung der damals 13-jährigen Ilona Dönges im April 1962, soweit er sich daran erinnern konnte. Erstmals erzählte er den Beamten auch von jener chronischen Unfähigkeit, deren Ursache er nicht kannte, die ihn aber über Jahrzehnte hinweg nicht nur in seinen Augen zum sexuellen Versager gestempelt hatte. »Ich hab’ immer dieses Problem«, begann er leise zu murmeln, »daß mir vorher einer abgeht, wenn ich schon mal mit einer Frau was haben will.«
Als Kroll nichts mehr einfallen wollte, begann Friedhelm Kontermann, der sich alles mit angehört hatte, zu bohren: »Was steht denn jetzt noch
Weitere Kostenlose Bücher