Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)
daß ich sie ficken wollt’.« Warum Renate Göbel hatte sterben müssen, erklärte er in einem Satz: »Weil mich das Mädchen ja irgendwie vernatzt hat, und weil ich so nervös war, musst’ ich das Mädchen doch kaputtmachen.« Nach reiflicher Überlegung ergänzte er: »Und weil es bei mir wieder so schnell kam.«
40
Das Vernehmungszimmer der Mordkommission war nur knapp zehn Quadratmeter groß und ausgesprochen spärlich eingerichtet. An den Wänden hingen keine Bilder, sondern mehrere Stadtpläne. Auf einem alten Aktenbock unter dem Fenster stand eine Kaffeemaschine, daneben ein Radio. Krolls Geständnisse wurden auf einer abgegriffenen Olympia-Schreibmaschine getippt. Papier und Stifte lagen auf einem Beistelltisch mit blau-weiß-gewürfelter Leinendecke.
Er selbst hockte auf einem braunen Holzstuhl, die Ärmel hochgekrempelt, vier Knöpfe auf, den kahlen Schädel zumeist aufgestützt. Sein linkes Bein ruhte ausgestreckt auf einem zweiten Stuhl, die Krampfadern machten ihm immer noch zu schaffen. Tag für Tag saß er hier, meistens vormittags und nach der Mittagspause, oft neun Stunden oder länger.
Die Ermittler bemühten sich nach Kräften, ihren »Achim« bei Laune zu halten. Die Ehefrau eines Kripobeamten lieferte schon mal wunschgemäß Krolls Leibgericht: Reibekuchen mit Rübenkraut; so auch am 10. Juli. Frisch gestärkt ließ er sich die Fragen der Beamten schon eher gefallen: »Hast du schon mal etwas an einer Schachtanlage gemacht?« Wenn die Ermittler »machen« sagten, meinten sie ein Verbrechen. Er verstand das, es war seine Sprache.
Kroll überlegte. »Ja. Mhm. In Bottrop. Da war was. An der Zeche in Kirchhellen. So’n junges Mädchen. Hab’ se erwürgt, glaub’ ich. Ja, doch. War so.« Kroll wollte es zunächst nicht glauben: Die Beamten erzählten ihm, dass die zur Tatzeit zehnjährige Christa Enders seinen Würgeangriff überlebt hatte. Und noch etwas war aus seiner Sicht schief gelaufen. Kriminalobermeister Wippermann fragte danach: »Warum hast du an dem Mädchen nichts weiter gemacht?«
»Die lag da so. Hat sich nich’ mehr bewegt. Darum hab’ ich nichts gemacht. Hab’ einfach keine Lust mehr gehabt.«
»Und das komische Gefühl war weg?«
»Das Gefühl hatt’ ich immer noch, und es ging auch erst weg, als ich von dem Mädchen weggegangen bin. Ich konnt’ irgendwie an dem Mädchen nichts mehr machen, weiß nich’, warum. Ging einfach nich’. Kann ich mir heut’ noch nich’ erklären.«
Seine Diktion war schlicht, er berichtete über seine Morde wie andere über das am vergangenen Wochenende Erlebte: »Och, ich hab’ se gesehen. Ihr Haar war schön. Dann hab’ ich se den Hang runtergeschmissen.« In regelmäßigen Abständen musste einer der ihn vernehmenden Beamten das Zimmer verlassen – um Luft zu schnappen, sich abzureagieren.
Das siebte Mordgeständnis bestätigte die Einschätzung der Ermittler: »Kroll passt in keine Schablone.« Mit Ausnahme der ersten Tat hatte er alle übrigen Morde in »relativer Nähe« zu seinem damaligen Aufenthaltsort begangen. Nur hier nicht. Er war mit Straßenbahn und Zug von Duisburg aus bis nach Bottrop gefahren. Seine »Mobilität« ließ die Fahnder weitere Untaten befürchten, insbesondere außerhalb Duisburgs.
Jetzt trafen jeden Tag Streifenwagen aus verschiedenen Kreispolizeibehörden Nordrhein-Westfalens im Präsidium ein und lieferten die Akten unerledigter Sexualmorde der letzten 25 Jahre bei der Mordkommission ab. Auch die zentrale »Erfassungsstelle Leichenteile« des Bundeskriminalamts, die über 120 Fälle mit zerstückelten Leichen dokumentiert hatte, schickte ihre Unterlagen. Mehr als 300 Fälle hatte die Kommission unterdessen nach bestimmten Kriterien überprüft, 50 Morde waren herausgesiebt worden. Sie schienen auf Kroll zu passen oder ließen zumindest bedeutsame Parallelen erkennen.
Obwohl Kroll bereits sieben schwerste Verbrechen gestanden hatte, gestalteten sich die Vernehmungen auch weiterhin extrem schwierig. Mal war er nicht ansprechbar, depressiv, mürrisch, mal gab er sich gut gelaunt, aufgeschlossen – beispielsweise, wenn er »gut geschlafen« oder es ihm »gut geschmeckt« hatte. Seine Stimmungsschwankungen konnte sich niemand erklären. Kroll verstand es zwar, in seiner schlichten Sprache klar und leidenschaftslos zu formulieren, aber er blieb ein willenloser Sklave seiner Gemütsleiden.
In der Folgezeit warteten
Weitere Kostenlose Bücher