Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)
die Beamten geduldig darauf, dass er weiter auspacken würde. Oftmals wähnten sie sich am Ziel – oder wenigstens auf dem Weg dorthin. Kroll begann dann laut nachzudenken. »Da war doch noch, was war denn da? Es war’n Kind. Nee. Älter. ’ne Frau.« Allerdings verschwieg er, wann und wie und wo er das Opfer umgebracht haben wollte.
Es musste noch mehr Mädchen und Frauen gegeben haben, deren Leben er ausgelöscht hatte. Keiner der Kriminalisten wollte ernsthaft annehmen, dass Kroll von 1967 bis zu seiner Festnahme untätig geblieben war – neun Jahre lang. Behutsam fragten die Beamten nach. Und sie erklärten ihm auch in einfachen Worten, warum sie davon überzeugt waren, er habe noch mehr in petto. Danach machte er quälend lange Denkpausen, knackte minutenlang mit seinen langen Fingern, um doch nur wieder zu versichern: »Ja. Ich glaube, da war was.« Mehr kam aber nicht.
Die Ermittler hatten sich in der Zwischenzeit eine bestimmte Taktik zurechtgelegt. Sie durften nicht mit der Tür ins Haus fallen, sie mussten ihm Zeit lassen, und vor allem mussten sie ihn spüren lassen, dass er in ihren Augen ein Mensch war und keine »Bestie«. Wenn sie sich mit ihm einließen, musste er zunächst »aufgetaut« werden. So nannte Friedhelm Kontermann die zaghaften Annäherungsversuche seiner Kollegen. Und die gingen beispielsweise so:
»Na, Achim, es könnte bald mal regnen.«
Kroll sah nicht auf, sondern machte nur »mh«.
Einer der Beamten spielte auf die Olympiade an, die gerade in Montreal stattfand: »Bin mal gespannt, wieviel Medaillen wir diesmal machen.«
»Juckt mich nich’.«
»Gestern war ich kegeln«, versuchte man ihn aus der Reserve zu locken, »war lustig.«
»Kann nich’ kegeln.«
Thomas Wippermann hatte die Speisekarte mitgebracht – nicht ganz zufällig. Er begann laut vorzulesen: »Frikadellen, geschmorte Möhrchen und Kartoffeln. Das hört sich auch nicht schlecht an: Kasseler Rippenspeer, Dicke Bohnen, Kroketten. Achim, was nimmst du denn heute?«
»Hab’ keinen Hunger.«
So ging es hin und her. Egal, welche Schublade die Beamten auch aufzogen, Kroll wollte sich nicht auf ein Gespräch einlassen. Er konnte furchtbar stur sein.
Schließlich griffen die Ermittler auf bewährte Lockmittel zurück, begannen über Stereoanlagen zu fachsimpeln. Und dann taute Kroll plötzlich auf: »Könnt’ ich dir reparieren, kenn’ mich aus, hab’ meinen Nachbarn die Geräte repariert. Auch Mopeds kann ich reparieren, hast’n Moped? Hab’s immer umsonst gemacht, kannst’ jeden fragen.«
So ähnlich war es auch am 13. Juli, nachdem Kroll drei Tage lang kaum gesprochen hatte. Und als er dann erst einmal ins Reden kam, wechselte er abrupt das Thema und meinte: »Da war noch was. Ach ja. ‘n kleines Mädchen. Wasser. Mit Wasser war da was.«
Die Beamten taten so, als hätten sie gar nicht zugehört, denn aus Erfahrung wussten sie nun, dass Kroll, einmal beim Thema, weitere Hinweise geben würde. Und tatsächlich. »Ja, irgendwo zwischen Wuppertal und Düsseldorf«, präzisierte er, »da muss das gewesen sein. Is’ schon lange her. Fünf Jahre vielleicht. Oder zehn? Können auch 15 gewesen sein. Weiß nich’ mehr so genau.« Und dann begann er wieder übergangslos von Stereoanlagen zu schwatzen.
Unterdessen entwickelten andere Kripobeamte fieberhafte Aktivitäten. Wo zwischen Düsseldorf und Wuppertal gab es noch unaufgeklärte Mädchenmorde? An einem Fluss, an einem See, an irgendeinem Gewässer? Man bemühte wieder das Fernschreiben des Landeskriminalamtes. In der langen Liste unaufgeklärter Sexualmorde erschien den Ermittlern eine Mitteilung besonders interessant:
»Mord z. N. Bettina Mertens, 15.5.61 in Wuppertal, am 22.12.1966 in Hückeswagen/Rhein-Wupper-Krs. Sachbearb. Dienstst.: KHSt Wuppertal, Bk-Bl. 3253 v. 17.1.67.«
Demnach war vor 15 Jahren in Hückeswagen, nur wenige Kilometer von Wuppertal entfernt, ein fünfjähriges Mädchen ermordet worden. Heiß wurde die Spur, als Kollegen aus Wuppertal mitteilten, das Opfer sei in einem Bach gefunden worden. Alles schien zu passen. Friedhelm Kontermann entschied, mit Kroll den Tatort zu besichtigen. Er sollte den Ermittlern die Örtlichkeit zeigen, an der er das Mädchen umgebracht haben wollte. Und die Kriminalisten hofften, dass Kroll sich so besser würde erinnern können.
Am nächsten Tag machten sich vier Kriminalbeamte, der Staatsanwalt und Kroll auf den Weg zum Polizeipräsidium nach Wuppertal. Nachdem die Ermittler sich dort mit
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