Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)
hätte er stolz sein dürfen. Aber er traute sich nicht, er traute sich selbst nicht über den Weg. Denn: »Du bringst es doch eh zu nix!« Sein Vater hatte ihn häufig so niedergemacht. Die unliebsame Vergangenheit holte ihn immer wieder ein. Für viele andere war er der Depp gewesen, der Trottel. Er hatte diese Schmähungen nicht nur geschluckt, sondern auch verinnerlicht, widerstrebend akzeptiert. »Doof bleibt doof.« So hatten ihn auch seine Brüder aufgezogen. Er vertraute diesen achtlos dahingeworfenen Prophezeiungen mehr als sich selbst. Er hatte einen Namen, eine Identität, aber keine Persönlichkeit, die es ihm gestattete, einen eigenen Standpunkt zu entwickeln und zu vertreten.
Den Wunsch, die Vorstellung, ein Mädel poppen und kaputtmachen, hatte er in den Wochen zuvor zurückdrängen können. Die Angst, dass sie ihn kassierten, war der Schlüssel zu der Zelle gewesen, in der er verharrte, aus der er sich nicht hatte befreien können.
Neun Wochen waren nun seit seiner Flucht verstrichen, und er war immer noch ein freier Mann. Niemand hatte unangenehme Fragen gestellt oder ihn verdächtigt. Es war überhaupt nichts passiert. So einfach ist das! Diese Erfahrung beflügelte seine Phantasie, der Gedanke ließ ihn nicht mehr los. SO EINFACH IST DAS!
Er missbrauchte und tötete seine Opfer, wenn ihm danach war, wenn er nicht anders konnte. Gelegenheiten gab es reichlich, meistens traf es Frauen in seinem Alter. Die Opfer wehrten sich nicht, ließen alles geschehen. Erst als er ihnen seine Hände um den Hals schlang, schlugen sie heftig mit den Armen, schrien, versuchten ihn zu beißen, zu treten, sich loszureißen. Aber er gab keinen Pardon. Er genoss es, ihren Widerstand zu brechen. Wenn ihre Körper erschlafften, kam er zum Höhepunkt. Nur ein einziges Mal war eine junge Frau mit dem Leben davongekommen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er auch sie getötet. Aber er war gestört worden, von einem der Zimmernachbarn. Der hatte so penetrant und so heftig an seine Tür geklopft, dass er die schaurig-schönen Bilder in seinem Kopf nicht hatte festhalten können.
Ihm war zunächst gar nicht aufgefallen, dass es nicht mehr passiert war. Aber als das »komische Gefühl« ihn wieder überkam, urplötzlich, da realisierte er, was ihm so sehr fehlte, dass er sich auf Dauer nicht mit bloßen Hirngespinsten würde abspeisen lassen. Er wollte endlich wieder über eine Frau verfügen können. Schrankenlos. Hemmungslos.
Die einmal erfolgreich praktizierte Strategie wollte er beibehalten. Böhlen und Umgebung erschienen ihm für sein Vorhaben zu riskant. Er befürchtete, durch Arbeitskollegen zufällig beobachtet und anschließend verpfiffen zu werden. Aber der Nachbarort Zwenkau, nur wenige Kilometer entfernt zwischen Weißer Elster und Pleiße in der Leipziger Tieflandsbucht gelegen, bot sich an; insbesondere die dortigen Waldgebiete.
Wenn es die Witterung zuließ, durchstreifte er die Umgebung Zwenkaus. Er marschierte auf Feldwegen in den Außenbezirken Kotzschbar und Imnitz, trieb sich am Wasserwerk herum oder versuchte es entlang der Bundesstraße 2. Er war gespannt und angespannt. Jederzeit konnte ihm ein potentielles Opfer begegnen, das erregte ihn. Sofern ihm die Örtlichkeit zusagte, sie ausreichend Deckung bot, wurden seine Schritte kürzer, aber er blieb nicht stehen. Obwohl niemand zu sehen war, wollte er nicht auffallen. Er ging weiter, kehrte aber regelmäßig dorthin zurück. Vielleicht kommt dann ja eine. Und dann schnapp’ ich se mir!
Aber seine großen Erwartungen blieben unerfüllt. Wenn er sich müde gelaufen hatte und nicht mehr damit rechnete, jemandem zu begegnen, den er schänden und töten konnte, schlug er sich in die Büsche. Dort onanierte er und stellte sich vor, wie es gewesen wäre, hätte er doch Glück gehabt.
Dass er seine Gier nicht stillen konnte, irritierte ihn. Anfangs wollte ihm nicht einleuchten, warum es nicht gelang. Er war ratlos. Ihm fiel einfach nichts ein. Dabei hatte er aus seiner Sicht doch alles richtig gemacht, war genau nach Plan vorgegangen. Aber irgendwann erkannte er, dass ein negatives Ergebnis auch die Lösung sein konnte: Da sind keine Mädels. Er war zur richtigen Zeit am falschen Ort gewesen.
Er musste seine Methode, von der er so überzeugt gewesen war, ändern. Nicht wie er vorgehen würde, war entscheidend, sondern wo. Nach reiflicher Überlegung fiel seine Wahl auf Zwenkau. Er kannte sich dort mittlerweile gut aus. In der Innenstadt würde er
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