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Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Titel: Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbort
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Zudem hatte die Presse schon lange jede Zurückhaltung aufgegeben, die fruchtlosen Fahndungsbemühungen waren immer wieder eine Schlagzeile wert gewesen. Kein Zweifel, der Kripo kam ein geständiger Mörder wie gerufen.
    Nach und nach wurden Ecken und Kanten des Geständnisses abgeschliffen, Meckler bejahte bereitwillig diverse Vorhaltungen. Drei Tage später waren »letzte Zweifel« an der Glaubwürdigkeit seiner Aussagen ausgeräumt.
    Dennoch erinnerte man sich in Reihen der Ermittler an die Zeugin Erika Beutner. Die 22-Jährige hatte etwa vierzehn Tage vor Entdecken der Leiche in der Nähe des späteren Fundortes ein Liebespärchen beobachtet und eine Beschreibung des Mannes geliefert. Die passte auf Meckler. Dass Erika Beutner »höchstwahrscheinlich« Michaelas Mörder gesehen hatte, schlossen die Kriminalisten aus ihrer damaligen Aussage: »In dem Farnkraut dort habe ich auch etwas Rotes gesehen.« Man vermutete, dass dies der rot-weiß gestreifte Pullover des Opfers gewesen war. Jetzt sollte die Zeugin versuchen, Meckler bei einer »Wahlgegenüberstellung« zu identifizieren, auch wenn mehr als sechs Monate vergangen waren.
    Am 17. Februar musterte Erika Beutner im Präsidium hinter einem venezianischen Spiegel acht junge Männer. Sie ließ sich Zeit. Dann erklärte sie den Beamten: »Die Fünf, der war’s. Da bin ich mir ziemlich sicher.« Konrad Meckler war derjenige, der das weiße Schild mit der aufgeklebten schwarzen Fünf in Händen hielt. Das Verbrechen an Michaela Kurth war aufgeklärt, ihr Mörder überführt: zahlreiche Indizien, eine glaubwürdige Belastungszeugin, obendrein ein Geständnis – das war genug.
    Aber schon drei Wochen später wollte Meckler kein Mörder mehr sein, er widerrief sein Geständnis. Seine Begründung: »Ich war total von der Rolle. Meine Frau hatte einen Liebhaber, erwartete von dem Typen sogar ein Kind. Sie wollte die Scheidung. In meinem Beruf als Handelsvertreter kam ich auch nicht voran, hatte hohe Schulden. Ich habe einfach keinen Ausweg mehr gesehen. Und dann habe ich die Idee gehabt, in den Knast zu gehen.« In der Not sei ihm das Gefängnis als »Hort der Geborgenheit« erschienen, er habe »allein sein« wollen, hinter Gittern – ungestört und doch »versorgt«.
    Woher er denn all die Dinge gewusst habe, wurde Meckler gefragt. »Aus der Zeitung«, erklärte er, »außerdem von den Fahndungsplakaten.« Es hätte durchaus so gewesen sein können; Tatortbeschreibungen, genaue Skizzen mit Straßennamen, Wegverläufe, Details zu Leichenfundort, Alter, Aussehen und Bekleidung des Opfers waren dort nachzulesen gewesen. Aber jetzt glaubte ihm niemand mehr, nun wollte ihm niemand mehr glauben.
    Am 3. September 1960 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen »Mordes«. Das Schwurgericht in Essen allerdings ließ das ursprüngliche Geständnis gelten und ging davon aus, dass »der Angeklagte das Mädchen bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt, es anschließend geknebelt und dann hilflos im Wald zurückgelassen hat.« Also kein »Mord«, sondern »gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge«. Dafür verhängte das Gericht am 1. März 1961 acht Jahre Zuchthaus. Nur das wohlmeinende Schlusswort des Vorsitzenden ließ Meckler vorsichtig hoffen: »Wenn Sie nicht schuldig sind, müssen Sie mit allen Mitteln versuchen, von der Strafe freizukommen.«

17
                        
                       Hans-Günther Vogel hatte alles zunächst für einen dummen Zufall gehalten, der sich bald aufklären würde – natürlich zu seinen Gunsten. Erst als ihm der Haftbefehl vorgelesen worden war, hatte er verstanden, dass es um ihn ging, dass man ihm Abscheuliches vorwarf, dessen er gar nicht fähig war. Das wusste allerdings nur er selbst, alle anderen zweifelten oder glaubten an seine Schuld. Das war unerträglich.
    Jetzt saß er in seiner Zelle und befürchtete das Schlimmste: dass man ihn tatsächlich für ein Verbrechen wegsperren würde, das ein anderer begangen hatte. Er war kein gläubiger Mensch, aber nun begann er zu beten, die Polizei möge doch an den Richtigen geraten. Aber sie kamen immer nur zu ihm. Woche für Woche versuchten ihn immer dieselben Beamten aus der Reserve zu locken, von etwas zu überzeugen, das er sich nicht einmal vorstellen konnte. Und sie appellierten immerzu an sein Ehrgefühl, die moralische Verantwortung, seine Schuldgefühle, die ihn angeblich sosehr quälten: »Herr Vogel, denken Sie an die Frieda, Ihre

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