Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)
Vaginalsekreten und Sperma« nachgewiesen. Alle Spuren deuteten wiederum auf einen Täter mit Blutgruppe 0.
Nur der Untersuchungsbefund zum »Tatmittel« passte nicht ins Bild. Am »Tchibo«-Taschentuch fanden sich »große Mengen von Epithel-Zellen und Kochsalz«. Jemand mit Blutgruppe A hatte dort Schweiß abgesondert, der mit dem Opfer (Blutgruppe 0 MN) kurz vor der Tat »engen Kontakt« gehabt haben musste. Dieses Gutachten provozierte Fragen: War Ilona von zwei Männern umgebracht worden? Oder von einem Pärchen? Hatte sie den oder die Mörder auf der Kirmes kennen gelernt? Oder stammten die Schweißspuren von einem Mann, mit dem sie die Nacht zuvor verbracht hatte? Oder von ihrer Freundin? Die konnte allerdings bald als »Spurenlegerin« ausgeschlossen werden.
Der Mord an Ilona war mittlerweile zum Stadtgespräch geworden. Unverständnis und Angst beherrschten die lebhaften Diskussionen. Und es meldeten sich zahlreiche Bürger, die »sachdienliche Hinweise« gaben. Mehrere Zeugen berichteten unabhängig voneinander, am Tattag gegen 12.45 Uhr »einen verdächtigen Wagen« gesehen zu haben, und zwar ganz in der Nähe des Leichenfundortes, auf dem Verbindungsweg, zirka 120 Meter vom Sternweg entfernt. Es sollte ein »Goggomobil«, 600 ccm, türkis-grün, gewesen sein – ein preisgünstiger Kabinenroller, den wegen des geringen Hubraums jeder fahren durfte, der einen Motorrad-Führerschein Klasse 1 besaß.
Heiß wurde diese Spur, als der Kraftfahrer, der Ilona am Dienstag um 11 Uhr auf der Bundesstraße letztmals lebend gesehen hatte, erklärte: »Das war ein Goggomobil, türkis-grün. Der ist auf der B 8 in Richtung Wesel gefahren, hat den rechten Blinker gesetzt und ist genau auf die Stelle zugefahren, wo das Mädchen stand. Ich konnte aber nicht sehen, ob das Mädchen in den Wagen eingestiegen ist.«
Die Essener Kriminalisten suchten nun fieberhaft nach jenem Mann, dem besagtes »Goggomobil« gehörte. Für sie war klar: Er hatte Ilona in seinem Wagen mitgenommen, vermutlich wenig später dort getötet, die Leiche schließlich am späteren Fundort abgeladen. So musste es gewesen sein.
Er erinnerte sich gerne an den Moment, in dem ihm das Mädchen entgegengekommen war. Keine hundert Meter hatte er zurückgelegt, und genau dort, wo die Felder endeten und der Wald begann, war es passiert. Aber wenn der Film in seinem Kopf weiterlief, spürte er, wie sich bald Wut und Enttäuschung breit machten. Hab’ se doch nur gefragt, ob se mit mir poppen will. Und dann wird die auch noch frech. Ob ich das denn überhaupt könnte! OB ICH DAS DENN ÜBERHAUPT KÖNNTE! Er verstand die Reaktion seines Opfers nicht, er fühlte sich provoziert, gehänselt, erniedrigt. Die sind doch alle gleich, die Weiber! ALLE! Schuldgefühle waren ihm fremd, sein mörderischer Entschluss gerechtfertigt: Die hat mich richtig vernatzt. Ich musst’ se doch kaputtmachen!
Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. »Er hat gelogen. Er war nicht bei ihr. Und er besitzt jede Menge Tchibo-Tücher«, berichteten zwei Beamte der Mordkommission ihren Kollegen. Sie hatten bei ihren Nachforschungen herausgefunden, dass Rüdiger Karthaus nicht die Wahrheit gesagt hatte. Es kam noch besser: Der Verdächtige hatte versucht, mehrere Bekannte zu einer Falschaussage zu bewegen. Die hätten zu seinen Gunsten erklären sollen, er sei zur Tatzeit bei ihnen gewesen.
Der 52-jährige Betonbauer besaß überdies ein »Goggomobil«, türkis-grün, wohnte in Walsum und war den Kriminalisten von Beginn an suspekt gewesen. Der ehemalige Bergmann hatte sich in Widersprüche verwickelt, und es war herausgekommen, dass er mehrfach versucht hatte, sich Frauen und Kindern »unsittlich« oder »in eindeutiger Absicht« zu nähern. In einem Fall hatte ihn die Staatsanwaltschaft Duisburg sogar angeklagt – wegen »Unzucht mit einer Minderjährigen«. Das Verfahren war aber »aus Mangel an Beweisen« eingestellt worden. Für Karthaus sprach allerdings, dass er nie gewalttätig geworden war.
Jeden Tag wurde der Verdächtige vernommen. Aber Karthaus blieb standhaft, bestritt alle Vorwürfe. In der Nähe des Leichenfundortes wollte er »noch nie gewesen« sein, die teilweise widersprüchlichen Aussagen erklärte er mit »Gedächtnislücken« oder »Erinnerungsfehlern«. Das Ergebnis der Blutgruppenuntersuchung war ebenfalls nicht geeignet, ihn zu entlasten: Er besaß die Blutgruppe 0 und galt als »Ausscheider von H-Substanzen«. Nach Auffassung des Gutachters war er »als
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