Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)
Dysfunktion, die in der Summe der Merkmale eine so genannte Signatur erkennen ließen. Verstanden werden hierunter unverwechselbare Handlungssequenzen, die die speziellen Bedürfnisse eines Täters abbilden und keinen strategischen oder rationalen Charakter aufweisen. Hierdurch unterscheidet sich die Signatur vom Modus Operandi, der lediglich die kognitiv gesteuerten Tathandlungen beschreibt, die innere, psychopathologisch bedingte und hochsignifikante Struktur der Tat, ihre charakteristische Ausprägung hingegen weitestgehend unberücksichtigt lässt.
John E. Douglas, ehemaliger FBI-Agent und renommierter Serienmord-Experte, definierte diesen »Verhaltens-Fingerabdruck« 1992 im FBI Law Enforcement Bulletin wie folgt: »Die Visitenkarte ist das, was über das zur Begehung des Mordes Notwendige hinausgeht. Die Handschrift ist sehr häufig phantasiegebunden. Sie mag sich entwickeln, was jedoch nicht heißt, dass sie sich im landläufigen Sinne verändert. Vielmehr ist dies ein Prozess des sich nach und nach ausprägenden Themas. Die Handschrift bleibt im Kern – im Gegensatz zum Modus operandi – unverwechselbar erhalten.«
Der ehemalige Kriminalist und jetzige Präsident des »Institute for Forensic« in Seattle, Robert D. Keppel, beschreibt die »psychologische Visitenkarte« in seinem Buch Signature Killers (1997) als »persönlichen Ausdruck, den unverwechselbaren Stempel, den er der Tat aufdrückt als Ergebnis eines psychologischen Zwangs, sich auf diese Weise sexuell zu befriedigen«. Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt Brent E. Turvey (Criminal profiling, 1999), Wissenschaftler und Fallanalytiker in den USA: »Eine Täter-Handschrift ist das Muster eines unverwechselbaren Verhaltens, das charakteristisch ist für emotionale und psychologische Bedürfnisse.«
Er wollte seine Opfer nicht nur missbrauchen, sondern insbesondere den Todeskampf der Opfer beobachten und auskosten. Um dieses Ziel zu erreichen, war er gezwungen, Frauen und Kinder solange zu würgen oder zu drosseln, bis der Tod eintrat. Eine von diesem rituell eingefärbten Muster abweichende Tötungsart kam für ihn nicht in Betracht, alles andere hätte seinen Drang nicht beseitigen, ihn nicht restlos befriedigen können.
Wesentlich mitgeprägt wurde sein Verhalten zudem von der Unfähigkeit, den Geschlechtsverkehr vollziehen zu können. In jedem Fall, der einen solchen Versuch erlaubte, kam es bei ihm zu einem vorzeitigen Samenerguss – ebenfalls ein ihn charakterisierendes Merkmal, das ein gleichartiges Spurenbild produzierte. Und doch gelang es nicht, die Taten dieses Mannes als die eines Serienmörders zu interpretieren. Wurde da etwa geschlampt? Oder nicht genau genug hingeschaut?
Zunächst: Zweifelsfreie Beweise für eine Serientäterschaft gab es nicht – keine übereinstimmenden Täterbeschreibungen, Fingerspuren, Fußabdrücke oder biologischen Spuren. Zudem konnten viele der ihn als Serientäter kennzeichnenden Tatbegehungsmerkmale gar nicht verifiziert werden. Witterungsverhältnisse, Tierfraß und Leichenfäulnis hatten entsprechende Feststellungen unmöglich gemacht. Und der von ihm gepflegte Modus Operandi war keine Seltenheit, zahlreiche »Lustmorde« anderer Täter waren ähnlich gestrickt. Heute müssten Experten aus kriminalpsychologischer Sicht zu einem anderen Ergebnis kommen, aber in den sechziger Jahren waren entsprechende Analyseverfahren noch unbekannt.
Das beharrliche Morden dieses Mannes wurde aber auch durch eine Reihe anderer Aspekte begünstigt: Spuren, die eine zweifelsfreie Identifizierung ermöglicht hätten, konnten nicht (mehr) gefunden werden; es gab kaum brauchbare Zeugenaussagen oder Täterbeschreibungen; vielversprechende Indizien erwiesen sich als trügerisch; Hinweise aus der Bevölkerung führten regelmäßig in die Irre. Und vor allem: Der Mann, nach dem gesucht wurde, war in den Fahndungs- und Verbrecherkarteien gar nicht erfasst. Alle Maßnahmen, die sich gegen »alte Bekannte« richteten, mussten scheitern.
Der Kripo waren die Hände gebunden. Was blieb, war die zwiespältige Hoffnung, dass der Mörder endlich einen Fehler begehen würde – bei seiner nächsten Tat.
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Rolf Hansen war mittlerweile ausgezogen, er hatte Helga Zyrus einen Heiratsantrag gemacht, und sie hatte zugestimmt. Sie wohnten jetzt zusammen in Hamborn, einem Stadtteil im Norden Duisburgs. Das Techtelmechtel mit seinem Zimmerkumpel
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