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Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Titel: Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbort
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die Karteien im Erkennungsdienst sind überaltert; die 9-mm-Pistole ist unhandlich. (...)«
    Viele Beamte waren nicht nur wegen fehlender Mittel desillusioniert und demotiviert, geringe Aufstiegschancen und karger Lohn für harte Arbeit drückten allgemein die Stimmung. 93 Prozent der Kriminalisten blieben im »mittleren Dienst« hängen, das Fußvolk der Kripo musste sich mit 600 bis 900 Mark im Monat begnügen. Und wer besonders fleißig oder erfolgreich war, wurde trotzdem nicht früher befördert – entscheidend war die Anzahl der Dienstjahre, nicht die der gelösten Kriminalfälle.
    Aber die Irrungen und Wirrungen bei der Kripo im Allgemeinen sind nur bedingt geeignet, um die Erfolglosigkeit im Besonderen zu erklären. Denn ihm standen hoch motivierte, kompetente und bestens ausgerüstete Vorzeige-Kriminalisten gegenüber, die Crème de la Crème. Was dem gemeinen Kripo-Mann im grauen Alltag fehlte, sein Kollege in einer Mord- oder Sonderkommission konnte darüber verfügen. Schließlich ging es bei der Aufklärung spektakulärer Verbrechen auch ums Prestige, da ließen sich die politisch Verantwortlichen nicht lumpen; und schon gar nicht, wenn die Bevölkerung durch Kinder- und Mädchenmorde in Serie verschreckt wurde. Die »Bestie(n)« musste(n) gefasst werden – um jeden Preis.
    Doch was die wackeren Kriminalisten auch versuchten, es wurde nichts daraus. Hätte die Kripo ihn nicht an seinem Modus Operandi zumindest als Serien täter erkennen können, vielleicht sogar erkennen müssen? Das Kriminalistik Lexikon definiert diesen Fachbegriff als »Art und Weise der Begehung von Straftaten und anderen kriminalistisch relevanten Handlungen, einschließlich ihrer Verschleierung sowie der angewandten Mittel und Methoden in den jeweiligen räumlichen, zeitlichen und sozialen Bezügen«. Die Tathandlungen basieren demnach auf rationalen Überlegungen und Entscheidungen, die ausnahmslos instrumentell, strategisch, pragmatisch ausgerichtet sind. Versatzstücke der Tatbegehungsweise sind: Tatort, Tatzeit, Opfertyp, Tatwaffe, die Art des Zugangs zum Tatort, die Art der Annäherung an das Opfer, die Art des Gewinnens von Kontrolle über das Opfer, Mittäter, spezielle Begleithandlungen (zum Beispiel Feuer legen oder den Wachhund vergiften). Die Ziele: ungestörte Tatausführung, Verschleierung der eigenen Identität oder der des Opfers, Gewährleistung des Taterfolgs, Garantie von Fluchtmöglichkeiten.
    Bis Mitte der siebziger Jahre ging man in Wissenschaft und Forschung überwiegend davon aus, dass die so genannte Perseveranzhypothese zutreffend sei. Sie wurde von Dr.  Robert Heindl, dem »Nestor der deutschen Kriminalpolizei« und »Begründer der modernen Kriminalistik in Deutschland«, Mitte der zwanziger Jahre entwickelt. Er ging davon aus, dass insbesondere Berufsverbrecher an einer einmal erfolgreich angewandten Arbeitsweise beharrlich (= perseverant) festhalten – bedingt durch »eine minderwertige psychische und physische Ausstattung«. In seinem Buch Polizei und Verbrechen schrieb er 1926: »Doch die Perseveranz des Berufsverbrechers geht noch weiter. Er bleibt nicht nur der einmal gewählten Verbrecherklasse treu, sondern er praktiziert innerhalb dieser Klasse fast stets nur einen ganz bestimmten Ausführungstrick.«
    Die Perseveranzhypothese fußt demnach auf der aus der kriminalpolizeilichen Praxis hergeleiteten Erkenntnis, dass »Täter mit besonders hoher krimineller Energie ähnliche Straftaten ausführen und dabei ihre Arbeitsweise häufig beibehalten« (Handbuch der Kriminalistik, 1977). Obwohl diese kriminalistische Erfahrungstatsache in dieser verallgemeinerten und stringenten Formulierung nunmehr als obsolet gilt, war er ein Paradebeispiel für deren Existenz.
    Seine schlichten, aber vollkommen zutreffenden Überlegungen: ein ihm fremdes und körperlich unterlegenes Opfer; ein Jagdrevier, in dem er anonym bleiben konnte; ein Tatort, der ausreichend Sichtschutz bot; ein überraschender Angriff; die sofortige Tötung des Opfers; ein kurzer Aufenthalt am Tatort; der Verzicht auf die Mitnahme von Gegenständen (etwa Bargeld oder Kleidung des Opfers); die unverzügliche Rückkehr in seine Wohnung.
    An diesem Generalplan hielt er unverdrossen fest, alle bisherigen Morde erfüllten entsprechende Kriterien – nur die Tötung des Maschinenbaupraktikanten an einem Baggersee in Duisburg war atypisch.
    Individuell geprägt war sein Tatverhalten überdies von perversen Bedürfnissen und einer sexuellen

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