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Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Titel: Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbort
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schließlich im Höseler Bahnhof ein.
    Nachdem Julia ausgestiegen war, wartete sie noch eine Weile unter dem Vordach des Bahnhofs. Es hatte heftig angefangen zu regnen. Als es nur noch tröpfelte und die Wolkendecke aufgerissen war, machte Julia sich auf den Weg. Auch sie schlug das Angebot ihrer Mutter aus und rief nicht an, um sich abholen zu lassen. Wie ihre Schwester zwei Stunden zuvor machte sie sich allein auf den Heimweg. Gegen 14.20 Uhr bog sie in den Waldweg Nr. 30 ab. Sie konnte den Weg etwa 300 Meter weit überblicken, bevor er sich zwischen den Bäumen verlor. Es war wie immer, wenn sie von der Schule kam: Niemand war zu sehen. Sie freute sich auf zu Hause, auf »Bobby«, den Bernhardiner, »Rex«, den Dackel, die beiden Katzen, die Meerschweinchen, die Kaninchen. Und vor allem auf die Stute »Mara«. Das Pferd gehörte nicht der Familie, aber Julias Vater hatte seiner Tochter erlaubt, das Tier zu pflegen und es auch zu reiten. Nach den Hausaufgaben würde sie gleich auf die Weide gehen, das Pferd mit einer Handvoll frischem Heu füttern, es streicheln, mit ihm sprechen. Während Julia ihren Gedanken nachhing, bemerkte sie gar nicht, dass ihr ein Mann folgte. Und sie registrierte auch nicht, dass ihr dieser Mann immer näher kam.
    Als Julia um 15.30 Uhr immer noch nicht nach Hause gekommen war, schickte Elke Römkens Anna und Sebastian zum Bahnhof, sie sollten die Ankunft einiger S-Bahn-Züge abwarten. Eine Dreiviertelstunde später rief Anna wie verabredet ihre Mutter an: »Mami, drei Züge sind gekommen, aber Julia war nicht drin. Was sollen wir jetzt machen?«
    »Lauft den Waldweg zurück, ich komme euch entgegen.«
    Nach zehn Minuten trafen sie sich am Reiterhindernis, Elke Römkens hatte ihre beiden Hunde dabei. Dann suchten sie zu dritt nach Julia. Als sie nichts finden konnten, ließ die Mutter den Dackel von der Leine. Wenig später lief »Rex« schnurstracks in eine Fichtenschonung und bellte dort. Erst nach mehrmaligem Rufen kam der Hund zurück. Elke Römkens sah aber nicht in der Schonung nach. Sie vermutete dort ein totes Tier, vielleicht einen Vogel oder ein Reh. Dass ihre Tochter dort liegen könnte, wollte ihr nicht in den Sinn kommen. Sie verdrängte diesen Gedanken. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein.
    In der Zwischenzeit war Georg Römkens nach Hause gekommen. Er wusste noch nicht, dass Julia vermisst wurde. Er hatte Besuch. Der für den Höseler Wald zuständige Forstbeamte stellte ihm Fragen und legte einige Formulare vor, die im Zuge der Volkszählung ausgefüllt werden mussten. Die beiden Männer brüteten über den Formularen, als Elke Römkens ins Wohnzimmer stürzte. »Georg, Julia ist nicht nach Hause gekommen. Wir wissen nicht, wo sie steckt. Wir sind die Strecke vom Bahnhof bis hier abgelaufen. Nichts. Keine Spur!«
    »Habt ihr es mal bei Julias Freundinnen versucht? Vielleicht ist sie dort? Und ruf in der Schule an oder bei der Klassenlehrerin. Die müssen doch etwas wissen.«
    »Georg, du weißt doch, dass Julia Bescheid sagen würde. Das weißt du doch!« Elke Römkens wurde es zu viel. Sie dachte daran, dass ihr Hund in der Schonung angeschlagen hatte – und begann zu schluchzen. Mit tränenerstickter Stimme formulierte sie ihre schlimmsten Befürchtungen: »Julia muss etwas passiert sein!«
    »Frau Römkens, nun malen Sie mal nicht gleich den Teufel an die Wand. Julia ist bestimmt bei einer Klassenkameradin. Alles wird sich aufklären«, versuchte Karl Kisters, der Forstbeamte, die Frau zu beruhigen.
    Dann begann Georg Römkens zu telefonieren. Von der Klassenlehrerin seiner Tochter erfuhr er, dass der Unterricht pünktlich beendet worden war und dass Julia sich nicht länger als sonst in der Schule aufgehalten hatte. Dann rief er die Polizei in Essen und Breitscheid und einige Krankenhäuser in der Umgebung an. Aber auch dort war nichts zu erfahren.
    »Verdammt!« Georg Römkens knallte enttäuscht und wütend zugleich den Hörer auf die Gabel. Über den Freundeskreis seiner Tochter hatte er lediglich in Erfahrung gebracht, dass Julia mit etwas Verspätung die S-Bahn Richtung Hösel genommen hatte. Ob sie am Bahnhof ausgestiegen war, konnte niemand bestätigen.
    Karl Kisters, der sich in der Zwischenzeit um die vollkommen konsternierte Elke Römkens bemüht hatte, machte einen Vorschlag: »Ich sage in der Nachbarschaft Bescheid. Wenn Julia in den nächsten zwei Stunden nicht auftaucht, stelle ich einen Suchtrupp zusammen. Wir werden dann das gesamte

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