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Ich nannte ihn Krawatte

Ich nannte ihn Krawatte

Titel: Ich nannte ihn Krawatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Michiko Flasar
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Du bindest mir meine Krawatte. Winkst mir nach, wenn ich in die Arbeit fahre. Ich denke: Du bist eine wehende Fahne. Ich denke es mit einem stechenden Schmerz in der Brust. Um Himmels willen, reicht das nicht aus? Ist das nicht genug, um glücklich zu sein? Sie entwand sich: Gib mir Zeit. Ich werde darüber nachdenken.

58
    Ich wartete. Einen Monat lang. Dann endlich kam ein Brief. Ihre Handschrift. Rund. Sie hatte gepresste Blumen beigelegt. Meine Antwort ist Ja, las ich: Ja, ich möchte tausende Schirme verlieren, solange du keinen Bauch bekommst. Ich schrieb zurück. Eckig. Lass uns Tapeten auswählen gehen.
    Das ist sie. Meine Frau. Er hatte aus seiner Geldtasche ein Foto herausgezogen. Mein erster Gedanke war: Mutter. Mein zweiter: Sie will es gutmachen. Sie will weinen.
    Unsere Hochzeit, erzählte er weiter, fand wenige Wochen danach in einem Shintō* -Schrein statt. Okada-san war da, einen schuldbewussten Zug um den Mund. Kein Zweifel mehr: Sie war ein unfreundlicher, höchst unfreundlicher Mensch. Es tut mir leid, wollte sie sagen. Stattdessen sagte sie, hartwerdendes Wachs: Möge Ihr Glück von Dauer sein! Kyōko dankte es ihr mit einem unschuldigen Lachen: Was ist von Dauer? Wir sind ein Feuerwerk. Erglühend, verglühend, sprühen wir Funken, die schon erloschen sind.
    Schwarzer Kaffee. Ein Kännchen Milch hinein. Zwei Stangen Zucker. Langsames Rühren. Das Abtropfen des Löffels. Er legte ihn vorsichtig ab. Unser erster Morgen. Wie Kaffee, in den man Milch und Zucker schüttet. Ich wachte auf, Kyōko war nicht da. Ihr Polster eingedrückt, ein Haar mit der Spitze im Stoff. Das Laken noch warm, ich schob meine Hand unter die Decke. Aus der Küche kamen die Brühgeräusche der Kaffeemaschine, ein Hochzeitsgeschenk. Ich tapste barfuß durch den Flur. Bei dem Spalt in der Tür blieb ich stehen, sah nur so viel, wie durch ihn hindurch zu sehen war. Ihr Rücken, leicht gebeugt, über dem Herd. Brutzelnde Pfanne. Ihr Finger in einer Schüssel, kurz abgeschmeckt. Eine Prise Salz, etwas Pfeffer. Sie nieste. Im Niesen drehte sie sich um. Ihre Stimme, helles Glöckchen: Das Frühstück ist fertig. Auf der Theke stand, in blaues Tuch eingeschlagen, die Bentō-Box. Für dich. Sie legte einen Apfel dazu. Ein Stillleben.
    Und auch das war eine Entscheidung.
    Ich habe einmal sagen hören, dass der erste gemeinsame Morgen von bleibender Gültigkeit ist. Er ist eine Festlegung. Er legt fest, wer als erster aufsteht, wer Kaffee macht, wer das Frühstück zubereitet. Kyōko hätte genauso gut imBett bleiben können, sich wegdrehen und murren: Kauf dir unterwegs irgendwas. Das Entscheidende daran, das, was mir, im Türspalt stehend, den Atem nahm: Ich hätte sie darum nicht weniger geliebt.

59
    Unsere Flitterwochen hatten wir verschoben. In der Firma wurde damals jede Hand gebraucht, und wie es so ist, wir sind nie dazu gekommen, sie nachzuholen. Die alten Reiseführer, Paris, Rom, London, verstaubt. Es war vor Kurzem, da fand ich sie ganz unten im Regal wieder. Eselsohren, hier und dort, Notizen. Kyōko hatte mit einem Filzstift all die Sehenswürdigkeiten markiert, die sie besichtigen wollte. Den Eiffelturm, das Kolosseum, die Tower Bridge. Lauter Herzen. Auf einer der Seiten stieß ich auf eine Zeichnung, ein Porträt von mir. Tetsu, rauchend, am Montmartre, stand darunter. Sie hatte mich gut getroffen. Den obersten Hemdknopf offen. Wind in den Haaren. Den Blick in die Ferne gerichtet. Mein jüngeres Ich. Es rief mich an. Dem hatte ich nichts entgegenzusetzen, klappte das Buch mit einem lauten Knall zu.
    Wer hätte ich werden können.
    Wer war ich geworden.
    Wer werde ich sein, wenn sie herausfindet, wer ich bin.
    Kyōko weiß es schon. Ich bin mir sicher. Sie wartet bloß ab, bis ich von alleine den Kopf vor ihr senke: Du hast Recht gehabt. Einen glücklichen Alltag gibt es nicht. Man muss jeden Morgen von Neuem darum ringen. Er hüstelte. Der Aschenbecher stand randvoll zwischen uns. Wir haben es nicht einmal bis nach Miyajima* geschafft.

60
    Miyajima. Ein Stichwort. Er wiederholte es: Miyajima. Wie hieß sie doch gleich? War es Yuriko? Yukiho? Es liegt mir auf der Zunge. Yukiko? Ja? Das Schneekind also. Bitte erzähl mir von ihr. Ich hätte jetzt nichts dagegen, die Augen zu schließen und einfach nur zuzuhören. Es ist leichter zu sprechen, ohne angesehen zu werden. Leichter zu hören, ohne zu

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