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Ich nannte ihn Krawatte

Ich nannte ihn Krawatte

Titel: Ich nannte ihn Krawatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Michiko Flasar
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weil man als Mensch nicht komplett ist, wenn man keinen anderen neben sich hat.

56
    Wir trafen uns zum Abendessen in einem Hotel. Meine Eltern, nervöser als ich. Okada -san* , die Vermittlerin, mit krampfig nach oben gezogenen Mundwinkeln. Eine Puppe aus Wachs, sie könnte jederzeit sehr, sehr weich, jederzeit sehr, sehr hart werden. Ich fand sie gleichzeitig freundlich und unfreundlich. Es gibt solche Leute. Sie lassen einen im Ungewissen darüber, wie man sie finden soll. Ah! Da sind sie ja schon! Sie winkte mit wächserner Hand. Matsumotosan! Eine steife Bewegung. Ich stand einer Frau gegenüber, die mit der Frau auf dem Foto nicht die geringste Ähnlichkeit hatte.
    Von wegen brav. Er lachte laut auf. Sie benahm sich wie jemand, der den festen Vorsatz gefasst hat, nicht gemocht zu werden. Die Lippen gekräuselt, sah sie mich von oben nach unten hin an und sagte: Da sieht man mal wieder, wie man sich täuschen kann. Ein Foto ist eben nur eine Kopie. Das Original ist vergleichsweise uninteressant. Sie sagte es lächelnd. Das saß.
    Sie liest und singt gerne, wurde von Okada-san mit besonderem Nachdruck betont. Am liebsten, fuhr ihr Kyōko dazwischen, habe ich Bücher und Lieder, die davon handeln, eine Tochter zu verheiraten, die das nicht will. Betretenes Schweigen. Okada-san tupfte sich mit einem Taschentuch über Stirn und Augenbrauen, die Eltern stocherten verlegen in ihren Tellern. Und falls es Ihnen nicht aufgefallen ist, Kyōko sprach mit vollem Mund: Ich trage auf dem Foto eine Perücke. Ich verschluckte mich. Prustete. Sie sprang auf und versetzte mir einen Schlag auf den Rücken. So, nun wissen Sie, dass ich kräftig zuschlagen kann. Ich kann nicht nur lesen und singen. Ich kann Ihnen, wenn es sein muss, auch einen Schlag versetzen, den Sie so bald nicht wieder vergessen werden. Oh wie nett, Okada-san schaltete sich ein, siebesitzt Geistesgegenwart. Eine Eigenschaft, die man bei jungen Frauen häufig vermisst. Ich brach in unkontrollierbares Gelächter aus. Entschuldigen Sie! Nichts zu entschuldigen. Ein Mann sollte sich nicht für sein Lachen entschuldigen und eine Frau nicht für die Tränen, die sie weint. Manchmal, Kyōko legte Gabel und Messer nieder, habe ich Lust, mich flach auf den Boden zu legen und ihn über und über mit meinen Tränen zu benetzen. Wollen Sie das begreifen? Wollen Sie es aushalten? Sie hatte ihre Stirn streng in Falten gelegt. Ihr Gesicht, ihr originales, aufs Kinn gestützt, mich geradewegs musternd. Ja, ich will es, erwiderte ich. Ich will es versuchen. Sie, überrascht, sagte leise: Sie Dummkopf.

57
    Er errötete.
    Sein Erröten war nicht das eines jungen Menschen, der von seiner ersten Liebe spricht. Es war das Erröten eines alt gewordenen Mannes, der sich vor der ersten und letzten Liebe seines Lebens verneigt. Es war ein durchlässiges Erröten. Es schimmerte durch seine schlaffe Haut und erleuchtete für Sekunden den gesamten Raum, der uns umgab. Ich errötete mit ihm. Ein Knistern. Ein Schleifen. Die Schallplatte war zu Ende. Einer rief: Noch einmal Billie Holiday! Zustimmendes Grummeln, man prostete einander über die Tische hinweg zu.
    Ist es nicht merkwürdig? Mehr als in alles andere hatte ich mich in Kyōkos Dummkopf verliebt. In ihren geraden und freien Blick. Er durchschaute mich. Ich wollte von ihr durchschaut werden.
    Aber es war schwierig. Sooft wir uns auch trafen, sie ging in eine andere Richtung. Ich glaube, sie wusste nicht wohin.Sie ging einfach drauflos, nicht unbedingt in der Hoffnung, irgendwo anzukommen, sondern aus purer Freude daran, unterwegs zu sein. Ich bin eine Pflanze, sagte sie, ich brauche das Feuer, die Luft, die Erde, das Wasser. Ich verkümmere sonst. Und: Ist die Ehe nicht solch eine Verkümmerung? Das Feuer erlischt. Die Luft wird dünn. Die Erde trocknet aus. Das Wasser versiegt. Ich würde eingehen. Du auch. Sie warf die Haare über die Schultern. Lila Lavendel. Und wenn nicht, hielt ich dagegen. Wenn gerade der Alltag, unser Alltag, mein Versprechen an dich ist? Deine Zahnbürste neben der meinen. Du bist böse, weil ich vergessen habe, das Licht im Badezimmer auszumachen. Wir wählen Tapeten aus, die wir ein Jahr später grässlich finden. Du sagst, ich bekomme einen Bauch. Deine Schusseligkeit. Wieder hast du deinen Schirm irgendwo liegenlassen. Ich schnarche, du kannst nicht schlafen. Im Traum flüstere ich deinen Namen. Kyōko.

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