Ich nannte ihn Krawatte
noch geht, bei mir behalten. Ich nehme den Fuà vom Gas. Bremse. Fühle, ich gebe es zu, wieder diese Peinlichkeit, heiÃe Welle. Wer ist gestorben? Ich kenne ihn nicht. Hinter uns wird gehupt. Jemand ruft eine Beleidigung. Ein Gefühl, kein Gefühl: Er meint nicht mich. Ich bin nicht der, den man meint, wenn man uns sagt: Es tut uns leid, da kann man nichts machen.
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Es ist sinnlos, ich weiÃ. Aber gerne, wirklich gerne würde ich sagen können, ich erkannte noch am selben Tag, welchen Verlust ich erlitten hatte. Ich erkannte den Verlustmeines Sohnes. Ich erkannte den Verlust, den es bedeutete, ihn kein einziges Mal bei seinem Namen gerufen zu haben, dem Namen, den ich ihm gegeben hatte. Tsuyoshi. Der Starke. So hatte ich ihn mir vorgestellt. Stark wie eine Faust, die mir in den Bauch schlüge, wie in den Filmen, die ich nicht mit ihm geschaut hatte. Doch die Erkenntnis, wen und was ich mit ihm verloren hatte, kam erst später, Jahre später, und als sie kam, war es ein doppelter Verlust. Das Aufbrechen einer Narbe. Und man fasst hinein und versteht, das lässt sich nicht richten. Das ist nichts, was sich richten lässt.
Wir kehrten zu zweit nach Hause zurück. Im Flur lag eine Rassel. KyÅko bückte sich, hob sie auf. Ich sagte, sprach es aus: Vielleicht war es besser so. KyÅko drehte sich rasselnd nach mir um. Ihre Augen geweitet: Für wen war es besser? Etwa für dich? Mit dieser Frage lieà sie mich stehen, war ins Kinderzimmer, hatte die Tür hinter sich verriegelt. Ich lauschte nach einem Zeichen, hörte nichts als das Ticken der Uhr an meinem Handgelenk. Nach einer Stunde gab ich es auf, setzte mich vor den Fernseher und drehte die Lautstärke auf.
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Jahre später.
KyÅko hatte sich, eine Katze, auf der Couch zusammengekringelt und sprach in eines der Kissen hinein. Immer dasselbe: Weià du noch? An jenem Abend im August. Als du sagtest: Es ist vielleicht besser so. Ich habe in meinem Leben noch nie eine solche Feindschaft empfunden wie damals gegen dich, als du das sagtest. In deinem Anzug. Deine Krawatte war verrutscht. Dunkle Flecken an deinen Achseln. Ich saà an Tsuyoshis Bett und empfand bittersteFeindschaft gegen dich. Sechs Monate lang hatte ich darum gerungen, sie nicht zu empfinden, nicht wenn du betrunken nach Hause gekommen warst, nicht wenn du in deiner Betrunkenheit darüber geklagt hattest, dass dein Leben eine Sackgasse sei. Nun aber erfüllte sie mich. Endlich. Sie war die traurige Sehnsucht, zu ihm hinüber, auf die andere Seite zu gelangen. Freundlicher Tod. Ich wollte ihn. Inmitten der Feindschaft erschien er mir als ein Freund, der mich herzlich empfangen, mich freundlich in sein Herz schlieÃen würde. Selige Nacht. Ich wollte Schäfchen zählen, bis das letzte über den Zaun gesprungen wäre. Aber. Was denkst du? Was hat mich davon abgehalten? Hör gut zu! Der simple Gedanke, dass ich um sechs Uhr aufstehen und dir dein BentÅ zubereiten muss. Absurd. Nicht wahr? An Absurdität nicht zu übertreffen. Der Gedanke, dass du mich brauchst. Mich, die dir eines Tages, heute, sagen wird: Ich durchschaue dich und dein Unvermögen. Durch all dein Unvermögen hindurch sehe ich einen Menschen, der leidet. Dieser Gedanke war es, der mich gerettet hat. Mit einem Mal sah ich dich, wie du in die Arbeit fährst und wieder zurück, in die Arbeit und wieder zurück, und mit einem Mal sah ich, du rollst einen Felsen, ich rolle ihn mit dir. Immer dasselbe. Wir rollen uns gegenseitig einen steilen Bergweg hoch.
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Drei Reisbällchen. Tempura. Ein Algensalat.
Wenn Tsuyoshi noch am Leben wäre, er wäre jetzt einunddreiÃig Jahre alt. Ein gutes Alter. Er brach die Stäbchen entzwei. Ein Alter, von dem aus man gut zurück und nach vorne blicken kann. Magst du?
Ich nickte.
Hier, nimm eines der Reisbällchen. Schmeckt es?
Ja. Es ist das beste Reisbällchen, das ich jemals gegessen habe.
Er lachte, wischte sich lachend mit dem Handrücken über die Augen. Eine unsichtbare Träne. Ich wünschte, ich könnte so mit ihm zusammen sitzen und KyÅkos BentÅ essen. Ich meine. So wie mit dir. Findest du nicht? Er deutete mit den Stäbchen einmal hierhin, dann wieder dorthin. Auf eine Art sind alle hier im Park. Der Mann dort mit der jungen Frau am Arm. Das ist Hashimoto. Die Alte am Gehstock, die ihnen hinterher hinkt: Seine Frau. Der mit dem Buch da drüben, den Bleistift im Mund,
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