Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen
dass es überdies stimmt. Ich habe seine Mutter überlebt und wache nachts nicht mehr schweißgebadet und schreiend auf, weil ich befürchte, dass sie mich im Säure-Basen-Bad ersäufen will. Und trotzdem fange ich gerade jetzt mit dem Meckern an? Was ist denn das für ein mieses Timing?
Vielleicht liegt’s am Wetter. Der Juni ist auch nicht mehr das, was er mal war. Der halbe Monat war ein meteorologisches Sommerloch. Früher war mehr Juni. Und mehr Lametta. Früher war sowieso alles besser.
Aber wieso bin ich denn gerade so kratzbürstig?
Vielleicht bin ich schlicht und ergreifend schlecht gelaunt, weil ich steil auf die neunundzwanzig zugehe? Danach kommt dann die dreißig. Und dann die Wechseljahre. In ein paar Tagen jährt sich ein unvermeidbarer Termin: mein Geburtstag. Dann wird Konrad mir wieder was schenken müssen. Ich habe vorgeschlagen, dass wir auf Geschenke verzichten, ganz generell und sowieso. Nach dem Weihnachtsgeschenke- GAU hielt ich das für einen ziemlich genialen Vorschlag. Konrad wollte aber nichts davon hören, er hat nämlich schon » ’ne hammergeile Idee«. Ich hör die Englein singen. Das kann nur nach hinten losgehen! Ich hab’s im Gefühl, das wird ein Schuss in den Ofen.
Blödsinn. Self-fulfilling prophecy– schon mal gehört, Rautenberg? Positiv denken! Nicht kaputtdenken! Das kannste, das wissen wir, jetzt also mal Arschbacken zusammen, Brust raus, Kinn hoch, das andere auch, und dann ab durch die Mitte.
I wanna dance with somebody
Freitag, 24 . Juni, um 09 : 07 Uhr
Noch nicht ganz wach und schon das erste Highlight des Tages. » Wann lerne ich eigentlich deine Eltern kennen?«
» Du kennst meine Eltern doch«, weiche ich aus und schlürfe den Milchrest aus der Müslischüssel.
» Quatsch, ich bin ihnen noch nie begegnet«, widerspricht mein Herzblatt, doch dann sehe ich eine kleine Glühbirne über seinem Kopf erscheinen. » Wobei… auf dem Abiball…«
Gott bewahre! Der Abiball, schon wieder! Abibälle sollten gesetzlich untersagt werden. Aber wir waren jung und brauchten den Scheiß. » Richtig. Auf dem Abiball.«
» War dein Vater nicht der lustige Mann, der alle anwesenden Frauen zum Tanz aufgefordert hat?«
Ich nicke stumm und leidend.
» Und der auf jedes Lied Walzer tanzte?«
Ich nicke wieder.
» Selbst auf O Happy Day?«
» Is gut jetzt!« Ich bin bedient. » Ja, das war er.«
Mein Vater liebt tanzen. Kann es aber leider viel zu wenig. Deswegen tanzt meine Mutter auch nie mit ihm. Ihre Füße sind ihr zu kostbar. Sie nennt es Selbsterhaltungstrieb. Mein Vater nimmt ihr das nicht krumm und frönt der Herrenwahl. So auch auf meinem Abiball, wo er nacheinander erst meine Stufenkolleginnen, dann ihre Mütter, später dann auch noch den weiblichen Teil des Kollegiums aufriss, um ihnen allen die großen Zehen zu zertrümmern. Blondinen bevorzugt. Meine Mutter lehnte sich entspannt zurück, trank einen über den Durst und wippte mit dem Fuß vollkommen synchron zum Takt.
Konrad grinst. » Cool! Der war lustig. Und ein bisschen peinlich.« Genau. » Wann fahren wir hin?«
Eine schrecklich nette Familie
Sonntag, 26 . Juni, um 19 : 50 Uhr
Ich klingele an der Haustür meiner Eltern. Natürlich habe ich einen Schlüssel, aber der Anstand gebietet mir zu klingeln und mich und Konrad anzukündigen, damit meine Eltern sich noch schnell was überwerfen können.
Es ist sehr warm. Schlechte Bedingungen für einen Elternbesuch im Hause Rautenberg. Die Tür öffnet sich, und mein Vater steht vor uns. Im Gesicht trägt er ein zwanzig Zentimeter breites Grinsen, am restlichen Körper eine knapp bemessene Badehose in schrillen Neonfarben.
» Juli! Frucht meiner Lenden!« Er breitet die Arme aus und tritt einen Schritt ins Innere. Ich lasse meine Selbstachtung vor der Haustüre stehen und gehe hinein.
» Konrad, das ist mein Vater.«
» Ach, mein Vater, so ein konservatives Gerede– ich bin der Erwin«, jubelt mein Vater und zieht Konrad in den Flur. Er schüttelt ihm euphorisch die Hand und grinst immer noch. » Du bist ja gar nicht so hässlich!«
» Papa!«, zische ich. » Er hat dir nicht das Du angeboten!« Und auch nicht, ihn zu beleidigen, übrigens.
Mein Vater legt Konrad den Arm um die Schultern. » Ernsthaft, ich dachte schon, du wärst so ein Gesichtselfmeter oder so, sonst hätte Juli ja nicht so lange warten müssen mit dem Vorstellen.« Mir entgleist die Mimik. » Oder? Welchen Grund hättest du sonst haben sollen, Schnucki?«
» JUUUUULLLIIII !«
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