Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden
eines Hilfswerks bekam, zwecks »Familienplanung«. Man hat ihr Pillen verschrieben, die sie einnehmen sollte, um nicht wieder schwanger zu werden. Ab und zu, wenn sie gerade daran dachte, nahm sie die Pillen auch. Doch einen Monat später begann ihr Bauch zu ihrer großen Überraschung wieder anzuschwellen, und sie sagte sich, dass das Leben eben so sei, und dass man zuweilen nichts gegen die Natur ausrichten könne.
Khardji trägt seinen Namen zu Recht. Auf Arabisch bedeutet er »draußen«. Anders ausgedrückt: am Ende der Welt. Die meisten Geographen machen sich nicht mal mehr die Mühe, diese mikroskopisch kleine Ortschaft auf den Landkarten zu lokalisieren. Um es einfach zu machen, kann man sagen, dass Khardji unweit von Hajjah liegt, einer relativ bekannten Stadt im Nordwestjemen, nördlich von Sanaa. Zwischen diesem kleinen abgelegenen Ort und der Hauptstadt muss man mindestens vier Stunden Asphaltstraße rechnen und mindestens genauso viel auf Sand und Geröll. Wenn meine Brüder morgens zur Schule im größten Dorf des Tales aufbrachen, hatten sie einen zweistündigen Fußmarsch vor sich. Der Schulbesuch war nur ihnen vorbehalten. Mein Vater, ein sehr fürsorglicher Mann, war der Meinung, Mädchen seien zu zart und verletzlich, um ganz allein durch eine fast ausgestorbene Gegend zu laufen, wo hinter jedem Kaktus die Gefahren lauern. Davon abgesehen, konnten weder er noch meine Mutter
lesen und schreiben
, und er sah auch für seine Kinder keine Notwendigkeit darin.
Meine Schule war also die Natur, und im Übrigen sah ich
Omma
bei der Hausarbeit zu. Wenn sich meine beiden großen Schwestern Jamila und Mona mit zwei kleinen gelben Kanistern aufmachten, an der Quelle Wasser zu holen, trampelte ich ungeduldig hin und her, weil ich noch nicht mitdurfte. Im Jemen ist das Klima so trocken, dass man täglich mehrere Liter Wasser trinken muss, um nicht auszutrocknen. Sobald ich laufen konnte, steuerte ich am liebsten den Fluss an. Er lag nur wenige Meter unterhalb des Hauses und war uns sehr nützlich. In seinem kristallklaren Wasser wusch
Omma
die Wäsche und spülte die Töpfe nach jeder Mahlzeit aus. Morgens, nachdem die Männer zur Feldarbeit gegangen waren, wuschen sich die Frauen dort im Schatten hoher Bäume. An Gewittertagen suchten wir im Haus Schutz vor den Blitzen und dem Regen. Doch sobald sich die Sonne wieder zeigte und die Wolken durchbrach, eilten wir erneut zum Fluss, wo das Wasser jetzt so hoch stand, dass es mir bis zum Hals reichte. Um zu vermeiden, dass der Fluss über die Ufer trat, vergnügten sich meine Brüder damit, kleine Stauwerke zu bauen, die seinen Lauf umleiteten. Wir hatten viel Spaß.
Wenn sie von der Schule nach Hause kamen, sammelten die Jungen Äste auf, um damit den
tandour
anzuheizen, den traditionellen Ofen, der zur Zubereitung von
khobz,
unserem jemenitischen Brot, dient. Meine Schwestern waren Expertinnen in der Zubereitung dieser knusprigen Fladen. Manchmal bestrichen wir sie mit Honig, dem »jemenitischen Gold«, wie die Erwachsenen sagen. Der Honig aus unserer Gegend ist besonders berühmt, und mein Vater besaß einige Bienenstöcke, die er mit erstaunlicher Sorgsamkeit hegte und pflegte.
Omma
hat uns immer gesagt, dass Honig sehr gut für die Gesundheit und außerdem ein Energiespender sei.
Abends nahmen wir die Mahlzeit traditionsgemäß rings um den
sofrah
ein, eine Decke, die auf dem blanken Boden ausgebreitet wird. Sobald
Omma
den großen heißen Kochtopf daraufgestellt hatte, gefüllt mit
salta
, einem Rinder- oder Schafsragout in Bockshornkleesoße, tauchten wir unsere Finger hinein und formten dann aus Reis und Fleisch kleine Bällchen, die blitzschnell in unseren Mündern verschwanden. Wir machten es wie unsere Eltern und aßen direkt aus dem Kochgeschirr. Ohne Teller, Gabeln oder Messer. So isst man in den jemenitischen Dörfern.
Ab und an nahm uns
Omma
mit auf den Samstagsmarkt, der wöchentlich in der Mitte des Tals abgehalten wurde. Für uns war das ein großer Ausflug. Wir legten den Weg auf dem Maulesel zurück und kauften Vorräte für die nächsten Tage ein. Wenn die Sonne besonders heiß brannte, setzte
Omma
einen Strohhut auf ihren schwarzen Schleier, der den Großteil ihres Gesichts bedeckte. Damit sah sie aus wie eine Sonnenblume.
Wir verlebten recht glückliche Tage, deren Rhythmus von der Sonne bestimmt wurde. Ein einfaches, doch friedliches Leben ohne elektrischen Strom, ohne fließendes Wasser. Die hinter einem Strauch verborgenen Toiletten
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