Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
verloren wir uns lange Zeit aus den Augen, aber ich musste immer wieder an ihn denken.
Und wie der Zufall so spielt, traf ich den weisen Taxifahrer Abbas ein Jahr später wieder – bei meinen Schwiegereltern beim Teetrinken. Die drei waren befreundet, und als er bei ihnen zu Hause mein Foto sah, erzählte er die Geschichte, wie wir uns auf der Fahrt zum Flughafen kennengelernt hatten. So klein ist die Welt! Heute ist Abbas einer unserer besten Freunde. Am Tag meines Suizidversuchs hatte er Roujas Vater sofort angeboten, sie mit dem Taxi nach Köln zu fahren.
Abbas sollte sich in dieser Nacht als eine große Hilfe erweisen, denn nach über 30 Jahren Studium an der »Taxistand-Universität« hatte Abbas anscheinend alles über Depressionen gelesen, was er in Buchhandlungen und Bibliotheken auftreiben konnte. Er hatte sich förmlich vollgesogen mit Abhandlungen über Behandlungsmethoden und Behandlungsfehler und jetzt kam mitten in der Nacht mit dem Anruf meiner Schwiegermutter der Moment, sein gesammeltes Wissen anzuwenden.
Abbas wusste, dass der größte Behandlungsfehler bei Depressiven ist, sich nicht behandeln zu lassen. Immer wieder hatte er meine Familie gewarnt, sie sollten mich dringend behandeln lassen. Rouja hatte ihn über meinen Zustand immer auf dem Laufenden gehalten – und Abbas hatte immer wieder Tipps gegeben, wie man mir am besten helfen könne.
Abbas wusste sofort, was es bedeutete, wenn meine Schwiegermutter sehr früh am Morgen bei ihm anrief. Nach ihrem Anruf dauerte es keine fünf Minuten, bis vier Krankenwagen und die Polizei bei uns zu Hause vorfuhren. Morgens gegen 7 Uhr mit Blaulicht und Tatütata. Ich rätselte, wer sie alarmiert haben könnte. Ich hatte doch meiner Schwiegermutter genau zugehört, damit sie nichts Falsches sagen konnte am Telefon? Ich weiß nicht mehr, wie viele Polizisten und Sanitäter in unsere Wohnung stürmten, vermutlich dachten sie, ich hätte wieder versucht, mir das Leben zu nehmen. Meine schlimmsten Ängste wurden wahr. Sie wollten mich in die Klinik mitnehmen. Sehr eingeschüchtert und hilflos klammerte ich mich im Schlafzimmer am Kleiderschrank fest und sah die in gespensterhaft kreisendes Blaulicht getauchten Retter in meinem Rücken. Nein, ich wollte keinen Schritt nach draußen setzen. Nein, ich wollte nicht in die Klinik mitgehen. Meine Augenwimpern zitterten, so nervlich angespannt war ich. Ich war dabei, völlig durchzudrehen.
Abbas hatte wirklich ganze Arbeit geleistet und musste über seinen Taxifunk wohl einen gewaltigen Hilferuf gesendet haben. Angesichts der Übermacht gab ich auf. Ich wollte auch jedes weitere Aufsehen vermeiden. Die ganze Nachbarschaft musste ja bereits senkrecht im Bett stehen.
Mit sanftem Druck wurde ich zum Krankenwagen begleitet. Ich zog den Kopf tief unter meine Kapuze, weil ich sicher war, dass bei dem Aufgebot sicher auch schon Pressefotografen vor der Tür lauern würden. Ich saß nun in einem grell erleuchteten Krankenwagen, von jeder Seite einsehbar im besten Fotolicht, und wartete auf meinen Abtransport. Hinter den Vorhängen der Nachbarhäuser, die sich bewegten, hinter den Jalousien und Rollos, die angesichts des Spektakels leise hochgezogen wurden, mussten mich alle sehen. Ich saß wie ein Geisteskranker in dem Krankenwagen – und verhielt mich entsprechend. Ich schluchzte und weinte, warf die Arme über meinen Kopf, um mich vor dem zu schützen, was über mich hereinstürzte. Ich konnte die Vielzahl der auf mich einströmenden Gefühle nicht fassen. Warum nur? Warum ich? Warum hatte mich mein Glück verlassen? Warum ließen mich gerade jetzt selbst die letzten Menschen fallen, denen ich noch vertraut hatte? Verdammt, lieber Gott, bitte, was habe ich getan? Ich wollte sprechen, denn ich hatte doch so viel Leid zu beklagen, aber ich war so schockiert, dass ich kein Wort herausbekam. Meine unausgesprochenen Worte kreisten dafür immer weiter großen Pflastersteinen gleich durch mein Gehirn und zertrümmerten meinen Verstand. So stelle ich mir die Hölle vor, noch schlimmer kann man nicht fühlen und Schmerzen verspüren.
Als wir wieder in der Klinik mit der ausbruchssicheren Panzerglastür eintrafen, sagte mir das Personal wie zur Begrüßung, dass sie mit meiner Rückkehr schon gerechnet hätten. Wobei ich in einer Art Déjà-vue dachte, das hätte ich schon mal geträumt. Ich hatte mir doch geschworen, nie wieder an diesen Ort zurückzukehren. Und wem hatte ich das zu verdanken? Abbas, meine Familie und das
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