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Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Babak Rafati
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dann nur einen Schubs geben, damit es weiterging im Lied. War hier in meinem Schlafzimmer irgendwo der Anschluss, die geheime Fluchttür zurück in mein bisheriges Leben?
    Dauernd sprach ich zu mir, beruhige dich, beruhige dich doch. Was genau das Gegenteil bewirkte. Ich hatte Angst auch vor meinen Nachbarn. Mein Verhalten musste auffällig sein, die seltsamen Geräusche aus der Wohnung, mein Schluchzen, meine Wutschreie, das stundenlange Gehen im Fünferrhythmus. Ich fühlte mich beobachtet, überwacht und kontrolliert. Ich sah immer wieder diesen Film, mich im Hotelzimmer, in meiner ganzen Verzweiflung – der Schmerz war stets am größten genau in der Situation, wo ich noch alles hätte verhindern können, vor dem Bahnhof, der wirklich letzten Möglichkeit, im wahrsten Sinne auszusteigen, auszusteigen aus dem Taxi, nach Hannover zu fahren, Schluss zu machen mit der Schiedsrichtertätigkeit und mein normales Leben fortzusetzen, ein Leben mit Rouja. Ich flehte in meinen Tagträumen um die Chance eines Neubeginns, die Chance, an dieser Stelle noch einmal neu ansetzen zu dürfen. Manchmal drehte ich diesen Film ab dieser Stelle weiter, manchmal mit Happy End als Schiedsrichter, wo ich nach einer fulminanten Leistung das Spielfeld verlasse, als strahlender Held, der es allen wieder gezeigt hat. Aber dann kippte die Stimmung und der Film lief mit einer zielstrebigen Unbarmherzigkeit seinem tatsächlichen Ende entgegen. Der Absturz in die Wirklichkeit war so heftig durch die unglaublich schmerzvolle Erkenntnis, dass diese beruhigende Fantasie nur ein Selbstbetrug gewesen war.
    Dieses Wieder-und-wieder-durchleben-Müssen meiner Krise war mein größter Folterknecht. Wieder spürte ich all die Schmerzen und die Verzweiflung, die noch dadurch gesteigert wurde, dass ich die Ereignisse nicht aufhalten konnte – obwohl ich den Ausgang kannte. Jedes Mal war ich gezwungen mitanzusehen, wie ich der größten Katastrophe meines Lebens unaufhaltbar entgegenschritt. Im Takt meiner Schritte schienen sich die zeitlichen Grenzen im Zimmer aufzulösen, die Wände zu verschwinden, und dann war es wieder da, dieses Rufen, dem endlich ein Ende zu bereiten, diesen Film zu stoppen, dessen Ende ich mich immer schneller näherte. Irgendetwas riss mich dann immer aus meiner unheilvollen Trance, ein Hundegebell, der Paketbote, der klingelte, oder die Bohrmaschine der Nachbarwohnung – und ich bin all diesen Menschen unglaublich dankbar, denn auch sie waren ohne es zu wissen Lebensretter für mich. Nach diesen mir sehr nahegehenden Visualisierungen des Geschehens war ich meist völlig durchgeschwitzt, meine Kleidung klebte am Körper und trotz der stark geheizten Wohnung fror ich.
    Ich war zwar endlich wieder zu Hause, aber ich konnte in meinem Bett nicht mehr schlafen. Auch nachts ging ich im Schlafzimmer ständig auf und ab auf meiner Kachelstrecke, beschienen vom roten Mond der Digitaluhrzeit. Mein Kopfkino war jetzt 24 Stunden täglich am Laufen und ich belastete mich mit tausenden irrealen Gedanken. Dieser Zustand verlängerte sich von der Nacht in den Tag, vom Tag in die Nacht und bald war ich überhaupt nicht mehr zu beruhigen. Das dunkle Novemberwetter tat ein Übriges, um meinen Lebensmut immer weiter sinken zu lassen. Ich hatte Herzschmerzen. Saß bleich auf dem Sofa, um im nächsten Moment wieder meine Kachelstrecke abzulaufen. Ich weinte. Ich schrie. Rouja rief in ihrer Ratlosigkeit meinen Vater an, der wegen seiner schweren Augenoperation immer noch sehr ungern aus dem Haus ging. Trotzdem fuhr er die weite Strecke aus der Innenstadt zu uns, um mich durch seine Anwesenheit zu beruhigen und mich zu überreden, einen Arzt aufzusuchen.
    Noch am gleichen Tag gingen wir zu meinem Hausarzt. Ich musste im überfüllten Wartezimmer Platz nehmen, und als ich versteckt hinter meiner Zeitung aufblickte, in der ich mein Foto und meine Geschichte fand, meinte ich zu sehen, wie die anderen Patienten mich über andere Zeitungen und Zeitschriften hinweg heimlich anstarrten, in denen ebenfalls mein Name und mein Foto und die ganzen Mutmaßungen über die Motive meiner Geschichte standen. Das war genau die Öffentlichkeit, die ich immer so gefürchtet hatte, hautnah, persönlich, von Angesicht zu Angesicht. Ich sprang auf und verließ den Raum. Draußen im Flur bekam ich so heftige Panikattacken, dass die Arzthelferin den Doktor holte. Ich verließ die Praxis, nachdem mir der Arzt eine Beruhigungsspritze gesetzt hatte. Nach dem Besuch beim Arzt

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