Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
mich auf meinen Obmann nicht mehr verlassen konnte. Im Sportteil der Nürnberger Zeitung berichtete Nürnbergs Vereinsmanager Martin Bader mit stolzgeschwellter Brust von seinem Telefonat mit Herbert Fandel, dem Vorsitzenden der Schiedsrichterkommission des DFB, meinem Chef. Bader meldete gönnerhaft, Fandel habe nach diesem Spiel wohl schon mit seinem Anruf gerechnet. Zu deutlich seien die Fehlentscheidungen vom »indisponierten Referee« im Club-Heimspiel gewesen. »Man kann ja einmal danebenliegen, aber er lag ja konsequent daneben«, ärgerte sich Bader in der Zeitung: »Das Foul an Wollscheid habe ja sogar ich aus 40 Metern Entfernung aus dem Spielertunnel gesehen.« Fandel, der jahrelang selbst Spiele auf höchstem Niveau geleitet habe, hieß es in dem Artikel mit ironischem Unterton weiter, »konnte bei so eindeutiger TV-Beweislage nur geschwächt in den telefonischen Gedankenaustausch mit Bader gehen«. Bader sagte: »Es war ein sehr deutliches, sachliches und vernünftiges Telefonat. Ich gehe davon aus, dass unsere Sichtweise angekommen ist.« Und fügte hinzu, dass man Herrn Rafati in den nächsten Monaten vergeblich in Nürnberg suchen werde: »Das habe ich so herausgehört.« Bader hatte also durch seine Intervention über seinen Liga-Vertreter Krug bei Fandel erreicht, dass ich für Nürnbergspiele gesperrt war.
Mit mir hatte keiner darüber gesprochen. Bis heute nicht. Da ich nicht glauben konnte, was ich las, überprüfte ich unsere DFB-Datenbank, ob ich tatsächlich für Nürnberg gesperrt war. Hier fand ich im Terminkalender für meine Spielansetzungen einen neuen, ganz frischen Eintrag mit dem Hinweis: »Ausschluss. Problemverein 1. FC Nürnberg. Elfmeter / Tor.« Mein Chef Fandel war also eingeknickt und hatte Vereinbarungen mit einem Vereinsmanager getroffen, die mich betrafen, ohne mich vorher zu informieren, und ich musste das aus der Zeitung erfahren. Fandel hatte zugelassen, dass man einen seiner Leute verbrannte. Dieses Ausmaß an Illoyalität hatten wir Schiedsrichter bei Roth nie erlebt. Und die Reaktionen waren entsprechend. Wen würde Fandel als Nächstes fallen lassen? Meine Kollegen, die mich den ganzen Tag über anriefen, bewerteten Fandels Verhalten als eine Einladung an alle Vereine, missliebige Schiedsrichter künftig durch Anrufe beim DFB-Obmann auszuschalten. Es bedeutete eine Schwächung der gesamten Schiedsrichterschaft in ihrer Unabhängigkeit.
Bader hatte seinen Sieg natürlich gleich an die große Glocke gehängt, um den FCN-Fans zu zeigen, wo der Hammer hängt: bei ihm, den Vereinen und der DFL. Das wird ihm sicher gut getan haben. Für mich war es eine öffentliche Hinrichtung, die mich nicht nur in der gesamten Bundesliga, bei den Fans und in den Medien zusätzlich der Lächerlichkeit preisgab, sondern auch intern schwächte. Es gab weitere beunruhigende Nachrichten für mich. Mir wurde von verschiedenen Seiten zugetragen, dass sich Krug als Liga-Vertreter in den Telefonkonferenzen fortlaufend negativ über mich äußern würde. »Immer dieser Rafati«, höre man ihn schimpfen. Dieser Vorgang verletzte mich persönlich stark, aber ich fühlte mich zu schwach, um nach den Ereignissen in Nürnberg eine Aussprache zu suchen. Ich hatte nichts, was ich für mich in die Waagschale hätte werfen können. Ich war ein FIFA-Schiedsrichter von Fandels Gnaden und musste jetzt nur noch den nächsten Tritt abwarten, wie mir schien.
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Mein nächstes Spiel, Koblenz gegen Kaiserslautern, zeigte mir, wie sehr »die Nürnberg-Geschichte« meinen Ruf geschädigt hatte. Als ich eine ganze Weile vor Spielbeginn aus dem Stadiontunnel zum Warmmachen ins Stadion lief, begannen die Fans aus Kaiserslautern mich auszupfeifen und starteten Schmähgesänge. Das hatte es bisher nicht gegeben, dass ein Schiri bereits beim Warmmachen ausgebuht wurde. Während des Spiels, kein Thema, völlig normal – aber jetzt lief ich gegen eine Wand der Ablehnung, bevor das Spiel überhaupt begonnen hatte. Pfeifkonzerte und Fangesänge haben eine unendliche Kraft zu zerstören. Ganze Spiele gingen schon verloren, Spielerlegenden wurden zerstört und Trainer entlassen durch die Macht der Fans. Was ich jetzt im Stadion erlebte, war kein kurzes Aufflackern – der ganze Fanblock stimmte mit ein, sie schaukelten sich gegenseitig hoch und hörten nicht auf, meinen Namen zu verhöhnen. Das Mobbing auf der Facebook-Seite und die vielen negativen Medienberichte hatten mich zu einem Feindbild gemacht, auf das
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