Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Babak Rafati
Vom Netzwerk:
sich jeder stürzen konnte.
    Es ist schwer, in einer solchen Situation ruhig zu bleiben und vor allem nicht zu reagieren, zum Beispiel den Fans beruhigend zu winken oder – für Tapfere – ihnen eine Kusshand zuzuwerfen oder gar den Stinkefinger zu zeigen. Jede Antwort würde falsch verstanden und die Kurve zum Sieden bringen. Ich versuchte souverän zu bleiben, mich unbeeindruckt zu zeigen, aber jeder kann sich vorstellen, welche Wirkung es auf einen Menschen hat, wenn einem zehntausende Menschen ihre Ablehnung ins Gesicht und in die Seele brüllen. Du bist machtlos, allein gegen 20.000 Stimmen.
    Fankurven sind wie Raubtiere, mit erbarmungslosen Killerinstinkten. Je größer, desto mehr Macht haben sie. In der Fankurve verschmelzen zehntausende Individuen zu einem einzigen homogenen Block mit enorm viel Dezibel. Fankurven sind aber auch – das zeigt sich immer wieder – wunderbar gefühlige, zu großer menschlicher Anteilnahme fähige Seismografen für die Stimmung im Stadion. Ich habe bis heute nicht verstanden, wie die Kommunikation zwischen so vielen unterschiedlichen Menschen so schnell laufen kann, dass sie binnen Sekunden zu einer so vitalen Einheit verschmelzen.
    Diesmal passierte etwas Erstaunliches. Die Schmähgesänge der Kaiserslauternfans riefen ihre Gegner, die Koblenzer Fans, auf den Plan, die jetzt mit rhythmischem Händeklatschen mobil machten und meinen Namen skandierten: Klapp-Klapp-Klapp-Ba-Bak-Ra-Fa-tieeeh! Es schien, als ergriffen sie Partei für mich, um mich zu verteidigen – oder damit ich für ihre Mannschaft und nachteilig gegen Kaiserslautern pfiff. So war es aber nicht. Die wollten nur spielen und Stimmung gegen Kaiserslautern machen, um die Dezibelhoheit im Stadion zurückzugewinnen. Ich war das Objekt beim Warmlaufen der Fanblöcke, die Maus zwischen den Pranken zweier Raubtiere. Fußball brutal. Ich war zur Sensation der Bundesliga geworden: Rafati kommt! Und schon waren die Fankurven am Aufschäumen. Unter diesem Druck ein Spiel zu pfeifen, die Angst zu haben, wieder einen Fehler zu machen und gnadenlos ausgepfiffen unter dem Schutz von Regenschirmen ein Spielfeld verlassen zu müssen, übersteigt die Grenzen der psychischen Belastbarkeit.
    Das Spiel jedoch lief diesmal reibungslos. Das Normalste der Welt war bei mir inzwischen zur Sensation geworden. Bei mir zählte nur noch die Negativbilanz, dass kein Fehler »passierte«. Mein Fall war inzwischen Chefsache beim DFB geworden, wie mir das anschließende Telefonat mit Herbert Fandel am Donnerstag nach dem Spiel zeigte. Vertraulich teilte er mir mit, dass er mit Zwanziger telefoniert hätte und wie sehr dieser mit mir mitgefiebert hätte. Mir lief es kalt den Rücken runter. Das hatte ich noch nie gehört, dass der DFB-Präsident zusätzlich zu den vielen sonstigen Problemen jetzt auch noch mit einem seiner Schiedsrichter zittern musste. Ein Zeichen, wie groß der über Krug herangetragene Druck aus der Liga auf den DFB inzwischen war. Ich wusste jetzt, dass weitere Fehler das endgültige Aus bedeuten würden.
    # # # 19.11.2011, 3:44 Uhr # # #
    Unheimlich stark saugt sich das Hotel Luft aus meinem Zimmer, die jaulend und pfeifend durch die Bodenschlitze der schweren Tür entweicht. Blaue, pulsende Zeit. 3:44 Uhr.
    Wie viel Lebenszeit hatte ich verloren in den zehn Monaten voller Angst seit dem Nürnbergspiel, der Angst, weitere Fehler zu machen, Niederlagen zu erleiden! Angst vor meinen Sonntagstelefonaten mit Herbert Fandel, jeden Sonntagmorgen nach einem Spiel, zu erschöpft nach den Strapazen vom Vortag und einer durchwachten Nacht, zu leer, um mich vorzubereiten, seinen Vorwürfen entgegenzutreten, seinen von mir so empfundenen Ungerechtigkeiten. Die Gespräche liefen immer so ab, dass er zielsicher den einzigen negativen Punkt eines Spiels herauspickte und darauf herumritt. Was gut gelaufen war, spielte keine Rolle. Es ging schon lange nicht mehr um eine objektive, konstruktive Bewertung. Ich fühlte den Spott in seiner Stimme, regelrechte Schadenfreude. Und vor allem Kälte. Es ging, so mein Eindruck, nur darum mich kleinzumachen. Vor den Gesprächen lief ich in der Küche auf und ab, suchte nach Worten und Argumenten, wie ich am besten schlagfertig reagieren könnte – und fing dann an zu schwitzen, im Wissen, dass am Ende das Ergebnis klar sein würde: Babak Rafati hatte wieder nur Fehler gemacht. Die ganzen nächsten Tage über würde das Gespräch mit Fandel in meinem Inneren weiterlaufen, mich lähmen und alle Freude,

Weitere Kostenlose Bücher