Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
nehmen. Mit viel Feingefühl und gutem Zureden gelang es den beiden schließlich, mich wieder runterzubringen. Rouja sagte, dass wir alles gemeinsam schaffen könnten, wenn wir nur vernünftig vorgehen und zusammenhalten würden.
Ich hatte komischerweise vor diesem Hotel überhaupt keine negativen Erinnerungen an die Nacht. Ich hatte gar keine Erinnerungen an die Nacht. Ich vergaß sogar, den Papierkorb an der Hoteleinfahrt nach meinen Zetteln abzusuchen, die ich hier zehn Meter von meinem Auto entfernt deponiert hatte. Ich war bereits in meiner nächsten Gedankenschleife, mich beschäftigte mit wachsender Unruhe, was die Gesellschaft über mich und meine Tat denken würde. Was war mit Schiedsrichter Rafati los, warum wollte er sich das Leben nehmen? Was wollte die Polizei von ihm? Was Zwanziger? Der Kopf kam einfach nicht zur Ruhe. Wieder begann sich der Mix aus Wut, Schuldvorwürfen, Versagensängsten, Minderwertigkeitsgefühlen und einer erbarmungslosen Verzweiflung in mir zu drehen. Und immer deutlicher drängte sich ein Vorwurf in den Vordergrund: Warum hatte ich versagt, mir das Leben zu nehmen? Wollte ich wirklich sterben? War es nicht so, dass ich im Unterbewusstsein leben wollte und die Gewalt gegen mich einzig und allein das Ziel hatte, diesen Film endlich abzuschalten, den Countdown der blauen Uhr endlich zu stoppen und Ruhe im Kopf zu bekommen? Ich hatte die Tat doch vorher nicht geplant, sondern war plötzlich in diesen Zeittunnel gefallen, aus dem ich nahezu willenlos zur letzten Eskalationsstufe geschleudert worden war. Und zum zweiten Mal kam mir der Gedanke, es beim nächsten Mal zu planen und richtig zu machen. Der Weg zurück in ein normales Leben war versperrt. Meine Schuld- und Schamgefühle waren bodenlos. Ich sah mich um und dachte ganz klar nach, wie ich es beim nächsten Mal erfolgreich beenden könnte.
Rouja war inzwischen in Begleitung einer Polizistin – mit dem Autoschlüssel – im Hotel verschwunden, um meine Sachen zu holen. Als sie zurückkam und mich im Wagen sah, musste sie hilflos weinen. Ich dachte, sie würde sich meiner schämen. Aber es war ihr grenzenloses Mitgefühl für mich, was ich in meinem aufschäumenden Misstrauen nicht mehr erkannte. Sie schwieg immer noch, als sie sich die Tränen trocknete, was mein Misstrauen noch verstärkte. Ein paar Monate später sagte sie mir, dass der Anblick der Badewanne mit dem vielen Blut, der von mir abgelegte Talisman auf dem Badewannenrand und das Chaos im Hotelzimmer ihr nie wieder aus ihrem Gedächtnis gehen würden. Das alles zu sehen und sich vorzustellen, dass die liebste Person sich so etwas hatte antun wollen und sie nicht da gewesen war, um mir beizustehen oder zu helfen und die Tat zu verhindern, macht sie heute noch traurig.
Ebenso erst Wochen später erfuhr ich von meinem Anwalt, dass die vielen Fragen der Polizei darauf abzielten zu klären, ob ein Fremdverschulden vorlag. Mein Selbstmordversuch so kurz vor einem wichtigen Bundesligaspiel warf natürlich Fragen auf. Ich hätte ein Opfer der Wettmafia gewesen sein können. Das Opfer einer Erpressung. Und anderes mehr. Auch wohl ein Grund, warum der DFB-Präsident ins Präsidium gefahren war. Die Polizei hatte also nur zu meinem Schutz ihre Ermittlungen aufgenommen und damit ihren Job gewissenhaft ausgeführt. Auch der Vorschlag der Beamtin, den DFB-Präsidenten Zwanziger anzurufen, war alles andere als eine Taktlosigkeit mir gegenüber, sondern von ernstem Bemühen geprägt, mich in meiner Situation irgendwie zu unterstützen. In meiner panischen Verzweiflung war ich damals nicht in der Lage, das zu erkennen. Später erfuhr ich auch, dass der DFB-Präsident auch meinen Vater angerufen hatte, um sein Mitgefühl auszudrücken, was ich an dieser Stelle voller Respekt und Anerkennung hervorheben möchte. Das hätte ich mir eigentlich auch von Fandel und Krug gewünscht, die sich für ihr menschenverachtendes Verhalten mir gegenüber bei einem Vater, der fast sein Ein und Alles verloren hätte, hätten entschuldigen können. Aber ich habe mich getäuscht und sich täuschen bringt nur Ent-täuschung!
Als wir schon auf dem Weg Richtung Hannover waren, überfiel mich wieder der Gedanke, was die ganze Welt denken würde, und ich katapultierte mich erneut in meine Ekstase der Verzweiflung. Ein gesunder Mensch kann sich nur schwer vorstellen, wie einen der Schmerz, eine existenzielle Handlung nicht rückgängig machen zu können, regelrecht in Raserei gegen sich selbst versetzen
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