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Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition)

Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition)

Titel: Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rayk Wieland
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mußte auch keiner. Was blieb, war Zeit, viel Zeit, angefüllt mit nichts. Und mit Zeittotschlagen.
    In Nachtbars, Diskos und Klubs, die sich auch in der DDR und vor allem in Berlin stark vermehrten, gab’s in der Regel eine Hinterzimmerrunde, die um Geld spielte. Öffentliches Glücksspiel war natürlich verboten. Da aber in der DDR fast alles verboten war, fiel das nicht weiter ins Gewicht. Gespielt wurde für DDR-Verhältnisse um viel, und die Leute, die zockten, kamen von überallher und aus dem richtigen Leben: Autohändler, Schlagersänger, Fußball-Oberligaspieler, Handwerker. Neureiche, Kriminelle, Junge, Alte. Sie alle verband eine Kleinigkeit, nämlich jede Menge Geld, das sich partout nicht ausgeben ließ.
    Die mangelnde Verwendungsfähigkeit von Geld war eines der Hauptprobleme in der DDR. Sie dürfte das einzige Land weltweit gewesen sein, das über Lottogewinner verfügte, die schier verzweifelten. Hier gab es Erben von immensen Vermögen, die durchdrehten, Preisträger und Ausgezeichnete, die depressiv wurden, weil sie nichts kaufen konnten. Weder ein Auto, noch ein Haus noch eine Wohnung waren ohne weiteres zu haben, keine Traumschiffe, kein Schmuck. Nicht mal vergoldete Füllfederhalter, auch nicht vom Aussterben bedrohte Papageiensorten, zu schweigen von handbemalten Sammeltassen aus Meißener Porzellan. Eine Million DDR-Mark war wirklich nicht viel mehr als Spielgeld.

    Der Weltchef, wie sich zeigte, war, wenn man so will, der Pate, falls man das sagen kann, der Szene, wofern von ihr zu sprechenist. Ich traf ihn öfter in diesen Klubs, wo er kaffeetrinkend und dauerrauchend Dinge besprach und tat. Im Laufe der Zeit freundeten wir uns an: er, der Halbweltgauner, ich, der Philosophiestudent; er der Spieler, ich der Spinner.
    Ich sagte ihm öfter, daß er sich wahrscheinlich im Jahrhundert geirrt habe, Spieler und Pferdewetten, die gäb’s heute nicht mal mehr im Film. Er antwortete, daß ich das nicht beurteilen könne, da ich als Philosoph mich wohl im Jahrtausend geirrt haben müsse.
    »Du machst genau was?« fragte er mich.
    »Ich bin praktisch nichtpraktizierender Philosoph.« Ich fand, das hörte sich gut an. WC war vielleicht anderer Ansicht.
    »Praktisch nichtpraktizierender Philosoph?« fragte er. »Und das heißt was?«
    »Ganz einfach, ich praktiziere nicht, also man könnte sagen, ich denke nicht nach.«
    »Aha.« Es klang nicht uninteressiert. »Und das bringt was?«
    »Kein Geld«, sagte ich. »Es ist eher so eine Art Verweigerung, verstehst du?« Er verstand eher nicht und betrachtete mich, wie man Philosophen öfter betrachtet.
    »Weißt du, was Nihilismus ist?« fragte ich.
    »Nö«, sagte er. »Hat das was mit Ägypten zu tun, mit dem Nil?«
    »Er ist das Nein zu allen Dingen, Nein zur Welt, Nein zu den Menschen, Nein zur Gesellschaft, Nein zur Liebe, zu allem – nur nicht zum Nein selber, denn das Nein zum Nein wäre ein Ja, und deshalb darf der Nihilismus das Nein nicht verneinen, das ist seine Schwachstelle und auch der Grund, warum ich nur ein Teilnihilist bin, denn ich sage auch nein zum Nein bzw. dazu, daß das Nein zum Nein das Nein verneint, weil das Unfug ist.«
    »Das ist Philosophie?« fragte er.
    «Das ist Philosophie«, sagte ich.
    »Das kann man studieren?« fragte er.
    »Das kann man studieren.«

    Uns verband nichts miteinander, abgesehen davon, daß wir beide jeweils nicht verstanden, wie der andere auf die Idee kommen konnte, das zu sein, was er war. Wie Äpfel und Birnen eben, sagte WC, und in meiner Akte findet sich ein Gedicht, von der Stasi kopiert und damit dem freundlichen Verschlag des Vergessens entrissen, von dem ich annehmen muß, daß ich es geschrieben habe.
    Ä PFEL , MIT B IRNEN VERGLICHEN
    Sie ist eine Birne.
    Ein Apfel ist er.
    Und ein Vergleich fällt
    Durchaus nicht schwer.

    Er hängt am Apfel-,
    Am Birnbaum hängt sie.
    Vergleichbarer geht’s kaum
    In der Obst-Szenerie.

    Sie schmeckt es-geht-so.
    Er so-es-geht.
    Das klingt nicht, als ob kein
    Vergleich gehn tun tät.

    Gestern mit morgen,
    Geld mit Papier,
    Frauen mit Männern,
    Woanders mit hier.

    Verglichen wird vieles,
    Was gerade paßt.
    Bierdurst mit Sterben,
    Knackwurst mit Knast.

    Liebe mit Sternstaub
    Und Text mit Kompott
    Und Schweine mit Alltag
    Und Würfeln mit Gott.

    Und Krieg mit Familie
    Und Ärsche mit Hirnen.
    Man kann alles vergleichen,
    Auch Äpfel mit Birnen.
    Überraschenderweise hatte WC kein Problem damit, mich hin und wieder mitzunehmen zu Zockerrunden, die mich

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