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Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition)

Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition)

Titel: Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rayk Wieland
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zwecks »sozialen Studien« interessierten, wie ich ihm sagte. Sie fanden regelmäßig an bestimmten Wochentagen in geheimen Wohnungen, Hinterzimmern und Parkecken statt. Dort stellte er mich dann nicht nur als »nichtpraktizierenden Praktiker« vor, sondern auch als »nichtspielenden Spieler«, denn Geld hatte ich keins.
    Namen, die ich noch weiß:
    Herbert, er war immer da, ein Hausmeister auf der Pferderennbahn Karlshorst, der die Geldbündel unter die Hosenträger klemmte.
    Jürgen, ein Oberligaspieler, stets mit Braut an seiner Seite.
    Dieser bullige Horst, er hatte einen Laden mit »Miederwaren«.
    Ein Fensterputzer, der Otto genannt wurde, mit Goldkette, Zigarrenstumpen und Kaiser-Wilhelm-Bart, er kam mit seinem Hund, und das war ein Rehpinscher.
    Der Gintrinker Freddy, Fernsehschauspieler.
    Manni, Bodybuilder und Türsteher.
    WC und ich.
    Ein ganz normaler Spieleabend mit ein paar ganz normalen, spielfreudigen, unausgelasteten Erwachsenen, könnte man denken. Diese Leute hatten an einem Tag mehr Geld erbeutet, als normale DDR-Bürger im Jahr verdienten, und sie hatten auch kein Problem damit, es genauso schnell zu verplempern. Wer sie sah, wie sie da zusammensaßen und die Geldscheine hin und her schoben, würde sie vielleicht nicht unbedingt für die geheime Weltregierung halten, aber genauso kamen sie sich vor.

    Gespielt wurde immer Seven Eleven, ein denkbar simples Spiel mit zwei Würfeln, wobei einer die Bank hält und im Kreis herum gegen jeweils einen anderen spielt. Wenn ich es richtig behalten habe, gewann bei sieben und elf die Bank, bei zwei, drei oder zwölf verlor sie. Oder umgekehrt. Mindesteinsatz waren hundert Mark, der sich zügig steigerte. Die Geldstapel erreichten schnell filmreife Höhen, und das machte die öde Würfelei natürlich um einiges spannender. Bei 100.000 Mark, über deren Verbleib ein Spielzeugwürfel entscheidet, wurde selten gegähnt.
    Die Verlautbarungen während des Showdowns beschränkten sich auf ein paar ewig gültige Wahrheiten, und die waren von monothematischer Wucht.
    »Ich glaube, der hat einen Lauf.«
    »Hätte gedacht, daß ich diesmal einen Lauf hätte.«
    »So einen Lauf habe ich noch nicht gesehen.«
    »Wenn das kein Lauf ist, also dann gibt es keinen Lauf.«
    Ansonsten gab’s nicht viel Text. Die Stapel bauten sich auf und ab. Die Würfel wurden mal gestreichelt, mal gerieben, mal beschworen. Und nicht aus den Augen gelassen.

    Zocker wie wir saßen sicher überall in der Welt zusammen, doch in der DDR hatte die Freizeit-Mafia einen eigenen Charme. Es ging ja um nichts. Existenzsorgen kannte keiner von denen.Die Konsequenzen waren kinderfernsehtauglich. Es wurde nicht geschossen oder geraubt, eine kleine Schlägerei war das höchste der Gefühle. Trotzdem ging’s zur Sache, und größeren Ernst, gewichtigeren Ernst, ja tödlicheren Ernst habe ich seitdem in keinem Gesicht mehr gesehen. Da saßen Feierabend-Gangster, die gern echte Kriminelle gewesen wären. Und ich saß dabei, rauchte eine Cigarre, staunte, daß es das gibt, ein falsches Leben im richtigen sozusagen, und beobachtete diese kuriose Runde.
    Dachte ich.
    Natürlich war ich es, der beobachtet wurde. Die Runde interessierte die Stasi überhaupt nicht. Die Stasi interessierte sich für mich.
    »W. ist jetzt öfter Gast bei den Würfelrunden in der Wohnung von (Name geschwärzt), er sagt, um philosophische Studien zu treiben. (Name geschwärzt), (Name geschwärzt) und (Name geschwärzt) wundern sich und fragen, warum er da ist. Er antwortet, daß er Philosoph werden will und wissen muß, was Ernst ist und was Spiel. Wenn ein Würfel entscheidet über glücklich oder nicht glücklich, dann ist der Würfel kein Würfel, sondern Gott. Deshalb könne er nicht würfeln, weil er Atheist ist. Ansonsten hält W. sich zurück und ist nur Beobachter.«
    Ich habe keine Erinnerung an diese Szene mehr. Aber wozu braucht man ein Gedächtnis, wenn man eine Akte hat. Und einen Zuträger, der in der Runde sitzt, alles notiert und haarklein weitermeldet: WC, den Weltchef, der als IM »Spieler« auch dieses Geschäft locker und souverän miterledigt. Der Typ, ein stadtberühmter Zampano, Zocker, Zuhälter und Zonenkrimineller, ein in allem, was er tut und ist, klar und deutlich erkennbarer Antikommunist, der bespitzelt also mich für die Stasi.
    Und nicht ich ihn.
    Respekt.

8
    E S GIBT KEINEN W EG ZURÜCK ? Wenn ich nicht falsch liege, gibt es nichts anderes. Was vor uns liegt, die Zukunft, ist doch sehr unsicher,

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