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Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition)

Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition)

Titel: Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rayk Wieland
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dessen Anfang, wenn ich richtig liege, ein Hundefänger einiges Gewese macht. Der Typ war mir ein Rätsel. Wer kommt schon auf den Gedanken, Frauchen den Hund zu stehlen, um ihn anderweitig zu verkaufen? Ist das eine Geschäftsidee? Also schrieb ich den Vierzeiler, ein Freund vertonte ihn sogar irgendwie, und wir traten damit auf.
    Nun gab es in der DDR keine Hundediebe und keine hinter vorgehaltener Hand auf Hochtouren laufende Hundedieb-Debatte. Das Wort Hundedieb stand nicht für einen Mangel an Klopapier, nicht für den Südfrucht-Engpaß und auch nicht für ein Dilemma bei der Versorgung der Bevölkerung mit Türklinken. Es war keine Anspielung auf mißliebige Politiker. Es bedeutete einfach nichts. Niemand konnte damit etwas anfangen. Die Wettbewerbs-Reaktionen auf unseren Beitrag zeugten dementsprechend von großer und umfassender Verwunderung.
    Nach dem Vortrag entsponn sich die Diskussion. Der Leiter des Talente-Treffens, ein Filou mit grauem Karl-Marx-Bart, sagte, schön und gut, es sei sicher richtig, Finger in Wunden zu legen, und mutig, Dinge direkt zu benennen, und verdienstvoll, das mit einem Augenzwinkern in Anführungszeichen zu machen – aber Parteifunktionäre als Hundediebe zu bezeichnen, das ginge zu weit.
    Wilder Aufruhr im Publikum, das zum großen Teil aus langmähnigen Grüblern und wilden Punks bestand, die Partei für und wider die Partei ergriffen. Es ging um den Hund als Metapher, das auf-den-Hund-Gekommensein der Metapher, um das grundsätzliche Verständnis des Hundes als Freund im Klassenkampf und um die Rolle der Bedeutung von Hunden in der kommunistischen Weltbewegung.
    Leider weiß ich nicht mehr, was genau gesagt wurde. Der Hundedieb-Disput ist in den unergründlichen Tiefen des für immer Verflossenen versunken. Es gab, wie ich noch halbwegs weiß, zwei grundsätzliche, grundsätzlich verfeindete Lesarten.
    Die eine »betonte« – wie man damals gern sagte, man redete nicht einfach, sondern es wurde »betont« –, die eine also meinte, die Hundediebe stünden symbolisch für die Klasse der Kleinkriminellen, der Plebejer, für deren Lage Kommunisten stets Sympathie und Solidarität empfunden hätten. Der Diebstahl von Eigentum sei für Kommunisten ein ganz normaler Geschäftsvorgang. Die Enteignung der Eigentümer, die Expropriation der Expropriateure im kleinen sei angewandter Marxismus, wenn auch falsch angewandter Marxismus. Im Sozialismus gebe es diese »Hundediebe« nach wie vor, jedoch ohne jede gesellschaftliche Notwendigkeit. Das heiße, Reste kleinbürgerlicher Kleinkriminalität bestünden auch in der DDR weiter, und es sei wichtig, sich mit dieser im Lied angesprochenen Lage auseinanderzusetzen.
    Die andere Lesart hielt dagegen, daß ein Hundedieb, dereinen Hund um die Ecke bringe, also töte, sich selbst ad absurdum führe und seiner eigenen Lebensgrundlage beraube. So auch gewisse Funktionäre, die die Idee des Sozialismus aus ihren ursprünglichen Zusammenhängen entwendet und anschließend ins Gegenteil verkehrt hätten. Der Hundedieb stehe keineswegs für die Expropriation der Expropriateure, sondern viel eher und wenn überhaupt für die Pervertierung der Perversion.
    Zwei Wörter, weiß ich noch, wurden später zum geflügelten Wort, nämlich die überflüssigerweise nachgestellte Wendung: »Und zwar.« Eine Zeitlang waren sie der Schlußakkord jedes Dialoges.
    »Schlage vor, wir gehen ins Theater.« – »Und zwar!«
    »Findest du nicht, daß Honecker, wenn er redet, wie Heidegger klingt?« – »Und zwar!«
    Oder auch: »Heute sollten wir uns betrinken. Und zwar!«

    Auch die Staatssicherheit hatte Leute vor Ort, und die hatten natürlich ihre eigene Sicht auf die Dinge, die jetzt die Akte schmückt: »Der Vortrag des W. wurde allgemein als Provokation bewertet. Als Helden seines Machwerks fungierten ideologisch ungefestigte Hundediebe, welche die Ideale der sozialistischen Gesellschaft verhöhnen. Während der anschließenden Aussprache wirkte der W. arrogant, Rückfragen zog er ins Lächerliche. So behauptete er, daß es sich bei dem Lied um einen Spaß handele, der ohne jede berechnende Wirkung geschrieben worden sei. Die Teilnehmer im Saal – unter ihnen Angehörige der einschlägig bekannten ›Gruppe 61‹ – wußten, wer mit den ›Hundedieben‹ gemeint war, und belustigten sich darüber, wie die führenden Funktionäre von Partei- und Staatsführung verleumdet und diffamiert wurden. Alles in allem diente sein Auftritt der öffentlichen

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