Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition)
der Maueröffnung. Auf der Oberlippe des Barmanns erschienen kleine Schweißperlen. Dann ergriff ich wieder das Wort.
Was gar nicht angehe, sagte ich scheinbar zu meinem neuen Gesprächspartner, dem Polizisten, in Wahrheit aber Richtung Barkeeper, sei die Unsitte, eine Cigarre zu löschen und später wieder anzufackeln. Auch sei es verboten, eine Cigarre im Gehen oder gar im Laufen zu rauchen, das schicke sich generell nicht.
Ob man denn, unterbrach mich der Polizist mit sachlicher Neugier, im Dunkeln rauchen dürfe?
Mit der Frage hatte ich zwar nicht gerechnet, aber sie überraschte mich auch nicht. Im Prinzip – erläuterte ich mit breiten Gedankenstrichen zwischen den Worten, als gelte es, äußerst komplexe Zusammenhänge auszubreiten – ja, aber unter einer Bedingung.
»Und die wäre?« fiel der Barmann höhnisch ein.
»Nun«, erwiderte ich ungerührt, »unter exakt zwei Bedingungen ist gegen das Cigarre-Rauchen im Dunkeln nichts einzuwenden. Erstens: Man muß wissen, wo der Aschenbecher steht.«
Der Barmann und der Polizist tauschten einen Blick. »Und zweitens?« fragten sie fast einstimmig.
»Ein Fenster muß geöffnet sein.«
»Ein Fenster«, wiederholten die beiden andächtig, aber keineswegs überzeugt.
»Es sei denn«, besserte ich meinen Bescheid nach, »man raucht in einem Saal oder in einer Halle. Aber wer raucht schon im Dunkeln in einer Halle!«
Während ich so redete, brauste der Verkehr vor dem Lokal, und niemand nahm Notiz von unserem kleinen Kammerspiel am Rand des Weltgeschehens. Die Kellnerinnen hatten sich inzwischen umgezogen und ihre Serviceschürzchen durch Jacken aus verbrannter und nach außen gestülpter Igelwolle ersetzt. Sie hockten in der Ecke und kehrten uns demonstrativ den Rücken zu.
»Ja gut, ich nehme noch einen Cuba Libre«, hörte ich mich zum Barmann sagen. Ich sagte es, als hätte er mich dazu lange überreden müssen – aber er reagierte nicht, sondern tat so, als denke er konzentriert nach.
»Wieso das Fenster?« meldete sich der Polizist neben mir.
Ich zeigte auf den Zylinder Asche, der sich an der Cigarrenspitze gebildet hatte, und antwortete: »Deshalb.«
Der Polizist nickte, er nickte langsam wie ein schlechter Schauspieler, der den Empfang einer Todesnachricht mimt.
»Asche zu Asche«, sagte ich und schnippte den Kegel in den Becher.
»Aber was hat«, forschte der Polizist nach einer Weile weiter, »die Asche mit dem Fenster zu tun?«
Die Frage brachte mich etwas in Verlegenheit. Um so überlegener begann ich. »Also, Genosse Wachtmeister. Rauchen erzeugt was? Rauch.«
Ich sah ihn an. Er nickte.
»Und dieser Rauch legt sich? In die Luft sozusagen.«
Er nickte wieder.
»Und je länger man raucht? Richtig, desto dicker die Luft. Und dicker wovon? Von Rauch.«
Ich fuchtelte mit der Cigarre wie mit einer Nebelkerze in der Luft herum.
»Jetzt kommt«, fuhr ich fort, »wie’s kommen muß, der Punkt, an dem man nicht mehr genau weiß: Raucht man oder atmet man nur?«
Ich machte eine bedeutungsvolle Pause.
»Wissen Sie, was das heißt?«
Er wußte es nicht. Auch ich war nicht sicher, daß ich es wußte.
»Öffnest du eben ein Fenster«, sagte er wie nach einer Eingebung.
»Eben«, rief ich, erfreut über seine Anteilnahme. »Du öffnest ein Fenster, weg ist der Rauch. Aber jetzt haben wir das Problem: Denn wo ist das Fenster!?«
»Ja, wo isses?« wiederholte er versunken.
»Ja, keine Ahnung«, sagte ich, »im Dunkeln kannst du es nicht sehen! Vielleicht ist es verschwunden!«
»Verschwunden?«
»Oder verschollen, vernagelt, vermauert, was weiß ich …«
»Oh«, unterbrach mich lächelnd der Barmann, er sehe gerade, der Cuba Libre sei praktisch alle, leider.
»Oh«, sagte ich und angelte mir die Dienstwaffe aus dem Halfter des Polizisten, das könne ich aber gar nicht glauben.
»Oh«, machte jetzt auch der Polizist und erbleichte.
Die Kellnerinnen kreischten lautlos auf. Ich schoß mit der Pistole in die Decke über dem Tresen, der Putz spritzte nach allen Seiten, die Gläser wackelten. Die ungläubigen Augen des Barmanns, der schaute, als sei er im falschen Film, waren das letzte, was ich sah, bevor ich aus meinem kleinen Tagtraum wieder in das Zwiegespräch mit dem Polizisten hinüberblendete, das inzwischen offenbar weitergegangen war.
Der Polizist lachte gutmütig. In der Hand hielt er meine Cigarre und probierte sie mit spitzen Lippen. Ich schielte zum Barmann, der einen Zettel beschrieb. Aus dem Augenwinkel sah ich überall auf
Weitere Kostenlose Bücher