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Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition)

Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition)

Titel: Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rayk Wieland
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mit meiner angerauchten Cigarre und dem frisch eingeschenkten Cuba Libre allein blieb, eindrucksvoll umstanden von zwei Serviererinnen und ihrem mich konsterniert musternden Chef hinter der Bar.
    Was tun?
    Die drei waren ja einerseits keine studentischen Teilzeitkräfte, sondern lebenslänglich angestellte Gastwirtschaftsbeamte, Kollektiv der sozialistischen Arbeit, und sie konnten mich so früh am Abend schlecht rausschmeißen und einfach dicht machen, Schild vor die Tür: »Wegen Maueröffnung geschlossen«. Andrerseits wollten auch sie, wenn’s tatsächlich gehen sollte, schnell mal rübermachen, war doch klar, die Gelegenheit, logisch.
    Auch ich war keineswegs abgeneigt, aber doch nicht so und unter Preisgabe von Cigarre, Getränk und Würde. Die panikartigen Aufbruchsaktivitäten im Lokal und das Vorüberfluten der Menschen vor dem Fenster hatten einen idiotischen Stolz und die Einsicht in mir geweckt, meine verbleibende Zeit unter den kategorischen So-nicht-Imperativ zu stellen.
    Ich war etwas schwermütig geworden und widmete mein Rauchen der Frage, ob man unbedingt durch eine Tür, nur weil sie sich geöffnet hatte, gehen müsse. In vielen Filmen und Büchern, die ich kannte, waren offene Türen ein sicheres Indiz fürherangaloppierendes Unheil. Wer in Hitchcocks »Psycho« durch eine Tür spaziert, wird sich zehn Berliner Mauern herbeiwünschen und auch die DDR gern in Kauf nehmen. Sogar Zellentüren, die per Wunder unverschlossen bleiben, sind mit Vorsicht zu genießen – so jedenfalls in der Erzählung »Die Marter der Hoffnung« von Vielliers de l’Isle-Adam, wo ein für den Scheiterhaufen vorgesehener Ketzer in den Kellern der Inquisition in der Nacht vor der Hinrichtung entdeckt, daß die Tür seiner Zelle nur angelehnt ist. Nach ungläubigem Staunen und Zögern beschließt er zu fliehen und stolpert nach Stunden des Bangens direkt in die Arme des Großinquisitors, der ihn am Ausgang des Gemäuers erwartet. Hätte er geahnt, wer ihn in der Freiheit willkommen heißt, er hätte wie ich wohl vorgezogen, gelassen eine letzte Cigarre zu nehmen und auszuharren, anstatt fremdbestimmt durch die Gegend zu hasten.
    Das Unbehagen, das die drei einzig durch mich noch festgehaltenen Werktätigen abstrahlten, überstieg alle bekannten zivilisatorischen Grenzwerte. Ein Polizist stromerte in den Laden. Ob wir schon wüßten, daß … Aha, soso, nun denn. Alle schwiegen. Die Zeit dehnte und blähte sich, und es hätte mich nicht gewundert, jetzt in der Ecke der Bar einen Maler zu entdecken, dem wir regungslos Modell saßen. Möglicherweise waren wir aber auch selber das Bild.
    »Da nehme ich doch noch einen Cuba Libre«, sagte ich mit Polizeiunterstützung im Rücken. In den Augen des Barmanns las ich mein Todesurteil.
    Er knallte mir das gefüllte Glas auf den Tresen, und ich zog so unbemüht nebenbei wie möglich an meiner Cigarre. Nicaraguanische Cigarren schmecken vielleicht nicht so gut wie kubanische, aber sie geben genausoviel Rauch und Asche her. Das bedeutete, daß mir noch etwa zwei Stunden Qualmen bevorstanden – mir, dem Barmann, den zwei Kellnerinnen und dem Polizisten.
    Rauchen, trinken, schweigen – abwarten, was passiert. Ich war eine Art Geiselnehmer geworden, drei Personen hatte ich, einzig mit Cigarre und Rum-Cola bewaffnet, in meine Gewalt gebracht. Und während die gesamte Bevölkerung der DDR auf ihre Staatsgrenze zurannte, bildete sich allein durch meine kontinuierliche Arbeit am Rauchwerk eine Insel der Ruhe mitten in der Hauptstadt.

    Der Barkeeper sagte kein Wort. Mal starrte er mich an, mal tat er so, als sei ich Luft, um kurz darauf enorme Leutseligkeit an den Tag zu legen und sich gutgelaunt zu erkundigen, wie lange man denn so an einer Cigarre paffen könne.
    Ich antwortete wahrheitsgemäß, es gebe Cigarren, die man wie dreckige Socken schnell mal durchziehen dürfe, und andere, für die man viel Zeit und Ruhe mitbringen, denen man einen ganzen Abend widmen müsse. Das sei verschieden, diese hier zum Beispiel, und ich reckte ihm meine Cigarre entgegen – aber bevor ich weitersprechen konnte, mischte der Polizist sich mit der Bemerkung ein, daß sein Schwager schon einmal drei Stunden an einer Cigarre geraucht habe, um danach drei Stunden zu kotzen.
    Der Polizist, er hatte inzwischen etwas sperrig neben mir Platz genommen, schmunzelte über seinen Schwager. Er ahnte nichts von der Gefahr, in der wir schwebten, spürte nichts von der akuten Gefährdung unseres kleinen Idylls infolge

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