Ich schnapp' mir einen Mann
Streife anhält?« Sie überlegte, dann nickte
sie, laut mit den Zähnen knirschend. »Natürlich wollen Sie das. Fahren
Sie sofort langsamer!«
Anton hatte, wenn er es recht bedachte, in seinem ganzen Leben
nur zwei wirklich gravierende Fehler begangen. Der erste war, dass er
in seiner unendlichen Dämlichkeit im Steakhaus den fehlenden
Rechnungsbetrag für sie ausgeglichen und damit ihre Aufmerksamkeit auf
sich gelenkt hatte. Der zweite war, dass er sich in dieselbe Bank wie
sie und damit sozusagen direkt vor ihre Flinte begeben hatte.
Sie war selbstverständlich verrückt. Hochgradig geisteskrank.
Unzurechnungsfähig. Wegen krankhafter seelischer Störungen völlig
außerstande, das Unrecht ihrer Tat einzusehen, § 20 Strafgesetzbuch.
Ein Zustand, in dem sie sich praktisch alles erlauben konnte. Sie würde
ihn erschießen, sich dafür drei Jahre lang in einer Nervenklinik
therapieren lassen und dann glücklich und geheilt nach Hause entlassen
werden.
»Wie schnell sollte es denn Ihrer Meinung nach ungefähr
sein?«, fragte er zuvorkommend.
»Ach, was weiß ich. Fahren Sie einfach wie immer. Hauptsache,
Sie fahren. Und denken Sie daran: Ich bin eine Mörderin.«
Auf Heiners Stirn entwickelte sich die
gewaltigste Beule, die Tamara je gesehen hatte. Sie kniete neben ihm
auf dem Fußboden des Ateliers und fächelte ihm mit einem
terpentingetränkten Lappen Luft zu.
Heiner röchelte und öffnete blinzelnd ein Auge. »Hrgmhn!«
»Wie bitte?«
»Mein Kopf tut weh!«
»Ich weiß, du Ärmster.«
»Hatte ich einen Unfall?«
»So könnte man es auch nennen.«
»Ärgs, mir ist schlecht. Ich glaub, ich muss kotzen!«
»Atme am besten mal tief durch.«
Er tat es und wurde grün im Gesicht. Tamara konnte nicht
rechtzeitig ausweichen. Mit zur Seite gewandtem Kopf und angehaltenem
Atem wischte sie ihre Füße ab.
»War Flora da, oder hab ich das geträumt?«
»Leider kein Traum.«
»Ich hab bestimmt 'nen Schädelbruch«, murmelte er.
»Armer Schatz! Soll ich dir ne schöne Terpentin-Kompresse
machen?«
»Im Moment nicht.«
»Später vielleicht?«
»Lieber nicht. Hat sie wirklich mit 'ner Flasche nach mir
geschmissen?«
Tamara nickte mitfühlend. Sie tupfte ihm fürsorglich die Beule
mit Terpentin ab. Tamara war zutiefst von der heilenden Kraft des
Terpentins überzeugt. Ob geschnüffelt oder auf die Haut
aufgetragen – in ihrer Vorstellung war Terpentin ein ganz
besonderer Saft, ein faszinierendes Spezifikum, das von der übrigen
Welt in seiner Bedeutung rettungslos verkannt wurde.
Heiner nahm ihr mit kraftlosen Fingern den fleckigen, feuchten
Leinenfetzen weg und legte ihn schützend über seine Blöße.
Tamara ließ sich seufzend auf die Fersen zurücksinken. »Ich
hab echt gedacht, du bist tot.«
Er richtete sich mit ihrer Hilfe auf und hielt sich den Kopf.
»Ich fühl mich auch so. Himmel noch mal, mir brummt vielleicht der
Schädel!«
»Du solltest dich für 'ne Weile hinlegen. Vielleicht hast du
ja eine Gehirnerschütterung.«
Heiner ließ sich von Tamara aufs Sofa helfen. »Wo ist Flora?«
»Weg«, sagte Tamara wortkarg, die Decke über ihn breitend.
»Mist. Ich hab wohl alles verdorben.«
»Im Gegenteil.« Tamara schlüpfte zu ihm unter die Decke und
umarmte ihn.
»Du wolltest ihr doch sowieso die Wahrheit sagen. Dass es
nicht mehr läuft mit euch beiden. Sieh es positiv.«
»Was ist daran positiv?«
»Na, dass sie es jetzt weiß. Ihr dürfte doch jetzt restlos und
eindeutig klar sein, dass es endgültig aus ist.«
Vor dem Bankgebäude hatte sich ein
Menschenauflauf gebildet. Reporter zwängten sich durchs Gewühl, damit
beschäftigt, von den Umstehenden jeden Einzelnen zu interviewen, der
auch nur im Entferntesten den Eindruck vermittelte, zum Geschehen eine
Meinung zu haben. Ein Rudel Fotografen kämpfte aus allen Richtungen um
das Foto der Stunde.
Herbert Schartenbrink stieß mit seinem AMS-Team zum Puls des
Geschehens vor, genau an die Stelle, wo das Gedränge am dichtesten war.
Seine glücklichen Blicke schweiften suchend von rechts nach links,
links nach rechts, vorn nach hinten, hinten nach vorn, immer auf der
Suche nach dem besten Shot für die Sondersendung, die auf höchsten
Touren vorbereitet wurde. Er war in Bestform, und nur ein Teil seiner
guten Laune war darauf zurückzuführen, dass hier draußen, in der
strahlenden Sommersonne, die Mitarbeit seines Beleuchters so
überflüssig war wie ein Kropf.
Er schubste den Kameramann ein Stück nach rechts und deutete
auf die
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