Ich schnapp' mir einen Mann
Fassade inklusive Namenszug der Bankfiliale. Der Kameramann
machte gehorsam seinen Schwenk, dann richtete er das Objektiv wieder
auf Schartenbrink.
Der zwang sein Gesicht zu einem Ausdruck wohldosierter
Betroffenheit. »Während die Kripo im Bankgebäude alle Spuren des
Verbrechens sichert, haben uns gerade mehrere Augenzeugen glaubhaft
bestätigt, dass die Frau tatsächlich hochschwanger war. Die Beobachter
des Geschehens sind sich allerdings nicht einig über den Tatablauf.
Während ein Teil von ihnen überzeugt ist, dass der Mann und die Frau
Komplizen waren, sind wieder andere der Meinung, die Frau sei als
Alleintäterin aufgetreten und habe den Mann als Geisel genommen.
Überflüssig zu sagen, dass diese letzte Version hier in Anbetracht der,
hm, anderen Umstände der Frau nur von sehr wenigen ernsthaft in
Erwägung gezogen wird. Weit häufiger wurde hier die Ansicht vertreten,
der Mann sei der alleinige Täter und die Frau – die
hochschwangere Frau! – sein unschuldiges Opfer. Hören Sie
hierzu eine der Zeuginnen.«
Schwenk, Zoom, und im Bild erschien die alte Dame, leider nur
unzureichend zu erkennen, da ihr Hund direkt vor ihrem Gesicht saß.
Schartenbrink war sofort zur Stelle und zog dezent ihre Arme zur Seite.
Die Stelle würde später rausgeschnitten werden. Genau wie der erste
Anlauf – der Hund hatte mit erstaunlich lautem Kläffen das
Take geschmissen – und der zweite, als der Alten außer
sinnlosem Gestammel nichts eingefallen war. Schartenbrink war bereit,
sie bis zum nächsten Morgen zu trietzen, um einen brauchbaren Satz aus
ihr rauszukriegen. Er versuchte es seit fünfzehn Minuten, unterbrochen
von aktuellen Kommentaren zum Geschehen, die ihm spontan in den Sinn
kamen und die zu gut waren, sie sich für später aufzuheben. Das Beste
davon würde später gesendet werden.
Er schob der alten Dame das Mikro vor die Nase und nickte ihr
aufmunternd zu. »Sagen Sie einfach das, was Ihnen so einfällt.« Er
würde nie begreifen, was die Leute dazu brachte, vor der Kamera in
Stammeln zu verfallen. Der Himmel wusste, woran es lag, dass sie nicht
fähig waren, die einfachsten Sätze von sich zu geben. Anstatt genau das
zu wiederholen, was sie ihm vorher – ohne Mikro –
haarklein berichtet hatten, benahmen sie sich auf einmal wie
Kleinkinder ohne Sprachvermögen.
»Das gelbe Ding da«, sagte die Alte. »Tun Sie es weg.«
»Das ist das Mikro«, erwiderte Schartenbrink mit grenzenloser
Geduld.
»Ja.«
»Ja, was?«
»Ich meine, ja, ich weiß, dass das ein Mikro ist. Ich bin doch
nicht blöd.«
Schartenbrink hegte diesbezüglich starke Zweifel, doch er
behielt sie für sich. »Wo liegt dann bitte das Problem?«, fragte er.
»Es hemmt mich. Ich habe das Gefühl, als würden Sie es mir
gleich in den Mund stecken.«
»Das tue ich nicht, keine Sorge.«
»Ich habe nicht behauptet, dass Sie das tun, sondern nur, dass
ich das Gefühl habe, Sie würden es tun.«
Er zählte im Geiste bis fünf und nahm das Mikro einen halben
Zentimeter zurück. »Jetzt besser?«
Sie zuckte die Achseln, und der Hund fing hektisch und schrill
an zu kläffen.
»Ruhig, mein Süßili«, zwitscherte die Alte.
Schartenbrink verdrehte die Augen.
»Hör mal Herby, wollen wir nicht lieber rüber zum Eingang und
warten, bis Kleff rauskommt?«, fragte der Kameramann.
»Erst, wenn dieses Take hier im Kasten ist. Ich will jedes
Wort haben, jede Kleinigkeit, die diese nette Dame mir vorhin erzählt
hat.« Und freundlich setzte er hinzu: »Sie soll doch gleich ins
Fernsehen, nicht wahr?«
Die Alte fing ganz plötzlich an zu reden; Schartenbrink
schaffte es gerade noch, ihr so unauffällig wie möglich das Mikro
hinzuhalten.
»Sie sah so jung und unschuldig aus. Er dagegen … Ich
meine, der Mann – irgendwie hatte ich ganz stark den Eindruck,
dass er zu Gewalttätigkeiten neigt. Zuerst hat er gegen den Automaten
geschlagen. Aber wie! Und nicht nur einmal. Ich dachte schon, gleich
haut er das Ding kurz und klein. Und als das nicht klappte, meinte er,
er würde reingehen und sich da drin das Geld besorgen.«
Schartenbrink nickte dem Kameramann zu und ließ die Handkante
herabsausen. Mit dem Gespür langjähriger Erfahrung wusste er
zuverlässig, dass sie es nie und nimmer besser als gerade eben
hinkriegen würde. Er ließ sie einfach stehen und drängte zum Eingang
der Bank vor, wo er sich mittels grober Knüffe und Tritte eine günstige
Position verschaffte, die es dem Kameramann erlauben würde, ihn und
Kleff –
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