Ich schnapp' mir einen Mann
davor, auf demselben Stuhl, auf dem am Vortag Flora
ihr Waterloo erlebt hatte.
Xavier hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sich
zusätzlich seitlich halb weggedreht. Dies konnte bedeuten, dass dieser
Filialleiter etwas zu verbergen hatte, dachte Kleff, der kein
Körperspracheseminar besucht hatte, aber über mehr als dreißig Jahre
Berufserfahrung verfügte. Vielleicht war der Typ aber auch einfach nur
im Stress. Kein Wunder nach einem Raubüberfall von dieser Größenordnung.
»Zurück zur Frau … wie, sagten Sie gleich, ist ihr
Name?«
»Xavier«, sagte Xavier.
»Nein, die Frau.«
»Zimmermann. Flora Zimmermann.«
»Und seit wann ist sie Kundin bei Ihnen?«
»Seit zwei Jahren. Und die ganze Zeit über hatte sie so gut
wie nichts auf dem Konto. Sie war, wie man so schön sagt, klamm.«
»Können Sie mir mal bitte die Auszüge zeigen?«
»Nein, bedaure.«
»Sie haben doch Bankauszüge, oder?«
»Selbstverständlich. Aber zeigen kann ich Sie Ihnen nicht.«
»Machen Sie Witze?« Kleff erhob sich halb und funkelte den
Bankmenschen wütend an.
»Tut mir Leid«, versicherte Xavier ehrlich bestürzt. »Aber das
darf ich wirklich nicht. Bankgeheimnis, wissen Sie.«
»Ja, richtig«, sagte Kleff gedehnt. »Gut. Wir besorgen uns
einen richterlichen Beschluss.«
Kleff starrte auf seine Notizen. Die Geschichte mit dem
unvollendeten Kriminalroman als Sicherheit für einen Kredit, der nicht
bewilligt wurde. Dann der Bankraub. Wie in einem schlechten Film.
Jetzt kam der entscheidende Punkt. Er vibrierte förmlich vor
Anspannung, seit Xavier ihm eröffnet hatte, er kenne die andere Person
ebenfalls. Und zwar aus den Medien.
»Noch mal zu diesem Rechtsanwalt«, sagte er mit mühsam
unterdrückter Erregung in der Stimme, »der auch bei dem Bankraub
zugegen war – Sie bleiben bei Ihrer Aussage, dass er an der
Tat beteiligt war?«
»So sicher wie das Amen in der Kirche«, log Xavier ungerührt.
»Es war ja sein Koffer, in den ich das Geld packen musste. Die beiden
gehörten zusammen. Das konnte ein Blinder sehen. Sie hat ihn ja sogar
Schatz genannt. Erwähnte ich das schon?«
Kleff gab keine Antwort. Erklärt auf Vorhalt, bei
seiner Aussage zu bleiben, notierte er, und dann fragte er:
»Er hat also gelogen, als er erklärte, dass der Automat defekt ist und
seine Karte eingezogen hat?«
»Nein, das stimmte. Er ist tatsächlich defekt. Wahrscheinlich
hat er ihn mit irgendwelchen unsachgemäßen Manipulationen außer Betrieb
gesetzt, um unter einem geeigneten Vorwand hier drin die Lage peilen zu
können. Und um uns abzulenken.«
Xavier lobte sich für seine ausgezeichnete Improvisationsgabe.
Der Koffer unter seinem Schreibtisch schien Hitze wie ein Backofen
auszustrahlen. Seine Beine fühlten sich heiß an, seine Füße standen wie
auf glühenden Kohlen. Eine viertel Stunde noch. Vielleicht auch eine
halbe. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Polizisten sich
verzogen hatten. Dann konnte er in aller Ruhe …
»Unter diesen besonderen Umständen«, unterbrach Kleff seine
Gedanken, »ist es natürlich sehr ärgerlich, dass ausgerechnet heute die
Überwachungsanlage defekt war.«
»Ja, eine dumme Sache«, sagte Xavier mit einer Stimme, die in
seinen eigenen Ohren piepsig klang. »Ein wirklich äußerst bedauerlicher
Zufall.«
Auf
der Flucht
A nton chauffierte Flora derweil durch die
Stadt. Sie saß stumm neben ihm, unbewegt bis auf gelegentliche
Zuckungen mit der Pistole, wenn er ihrer Ansicht nach zu schnell oder
zu langsam fuhr.
Vor etwa fünf Minuten hatte es angefangen zu regnen,
buchstäblich aus heiterem Himmel. Eben noch hatte die Sonne das Haar
dieser Irren wie gesponnenes Gold leuchten lassen, und im nächsten
Augenblick hatten feine Sprühkaskaden die Windschutzscheibe überzogen.
Exakt im selben Moment hatte Flora begonnen zu weinen. Sie
starrte nach draußen in den Regen, und die Tränen flossen über ihr
Gesicht, tropften auf ihren Bauch, auf ihre Hände, auf die Pistole.
Anton hatte den Eindruck, die Waffe schon einmal gesehen zu
haben, doch so sehr er auch grübelte, es wollte ihm nicht einfallen,
woher er sie kannte.
Anton nahm seinen ganzen Mut zusammen. Er sollte lieber nicht
reden, sie nicht zusätzlich reizen, doch er konnte nicht anders.
Inzwischen war sein erster wichtiger Termin längst vorbei. Der nächste
würde in drei Minuten anfangen. Er könnte wenigstens diesen Termin
schaffen, wenn auch mit Verspätung. Zumindest aber den dritten. Es ging
dabei um einen Streitwert
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