Ich schnapp' mir einen Mann
nicht die geringste Notiz von ihr.
Wie auf ein geheimes Kommando schwang die Tür zum Atelier auf,
und dort, auf dem kobaltblauen Sofa, lagen Heiner und Tamara, keuchend
und schwitzend und sich in wilder erotischer Hingabe einander widmend.
Osh-Kosh und Benetton machten lange Hälse, deuteten kichernd
auf das Paar und bedachten Flora gleichzeitig mit geringschätzigen
Blicken.
»Sonst liege ich immer mit ihm auf dem Sofa«, behauptete Flora
unter Tränen.
»Das ist gelogen!«, rief Tamara herüber. Sie setzte sich
frivol grinsend auf, präsentierte ihre spitzen Brüste und ihre exquisit
schmale Taille. »Glaubt ihr vielleicht, mit der da würde sich einer
aufs Sofa legen wollen? Seht sie euch doch an, die fette Kuh!«
Flora blickte an sich herab. Sie trug nichts außer einem
grässlich grünen Wonderbra, der ihr viel zu klein war.
Tamara lachte glockenhell, ihr gekünsteltes Theaterlachen, und
beugte sich über Heiners bestes Stück, den Mund sperrangelweit
aufgerissen, wie eine Boa Constrictor.
Flora schaute schockiert weg, doch die lüsternen Geräusche
konnte sie damit nicht aus der Welt schaffen.
»Na warte, du eklige Schlange!« Sie griff erbost in den
Jutesack, um die Terpentinflaschen hervorzuholen, doch sie hatte
vergessen, welche einzupacken. So sehr sie auch wühlte, außer Heu fiel
ihr nichts in die Hände.
In ihrer Wut nahm sie es und versuchte damit das treulose Paar
auf dem Sofa zu bewerfen, ein klägliches Unterfangen, mit dem sie nur
bewirkte, dass ihr das Heu in Mund und Nase geriet und einen
Erstickungsanfall hervorrief.
Osh-Kosh und Benetton applaudierten heftig, die beiden kleinen
Jungs ebenfalls, und Flora wurde schlagartig wach. Sie spuckte einen
Mund voll Heu aus und hustete aus Leibeskräften.
Gott sei Dank, nur ein Traum, dachte sie verstört.
Doch dann, als sie ihrer Umgebung gewahr wurde und sich an die
Ereignisse des gestrigen Tages erinnerte, war sie nicht mehr so sicher,
ob ihr Traum wirklich schlimmer war als die Realität.
Sie raffte die Robe um sich, schaute sich um – und
erschrak entsetzlich. Anton war weg! Abgehauen! Er hatte sich aus dem
Staub gemacht, Fersengeld gegeben, die Fliege gemacht, die Platte
geputzt, sich verdünnisiert, vom Acker gemacht!
Während die eine Hälfte ihres Gehirns pausenlos Synonyme für
sein Verschwinden ausknobelte, war die andere Hälfte damit beschäftigt,
die volle Tragweite dieser Entdeckung auszuloten. Wechselnde
Gefühlsregungen bemächtigten sich ihrer. Sie fühlte Wut, Trauer,
Resignation, lähmende Furcht vor der Zukunft.
Wie lange er wohl schon weg war? Um sie herum herrschte mattes
Dämmerlicht. Schwer zu sagen, wie spät es war. Flora schleppte sich zu
einem Spalt zwischen den Dachlatten, und dort, in dem trüben Zwielicht,
warf Flora einen Blick auf ihre Uhr. Es war bereits mittag. Halb eins.
Sofort meldete sich ihr Magen mit einem rebellischen Knurren und ließ
keinen Zweifel daran, dass Essenszeit war. Flora spähte durch die Ritze
nach draußen. Der Himmel war immer noch wolkenverhangen, doch die Luft
war drückend warm, wie bei einem heraufziehenden Gewitter. Ein weiterer
trister Tag eines tristen Sommers.
Der alte Trabi, den sie in der Nacht unweit der Scheune neben
einer alten Viehtränke hatten stehen lassen, war verschwunden.
Naja, wäre wohl auch zu viel verlangt von ihm, ihr den Wagen
dazulassen. Flora ging mit unsicheren Schritten zurück zu ihrer
stachligen, nach Stall riechenden Bettstatt und ließ sich schwerfällig
im Schneidersitz darauf nieder. Wenigstens hatte sie die Robe behalten.
Sie würde also nicht frieren müssen. Der weiche Stoff roch nach Pferd
und schwach nach Antons Rasierwasser. Flora rieb ihre Wange daran und
spürte etwas Feuchtes. Da erst bemerkte sie, dass ihr die Tränen übers
Gesicht liefen.
Hör sofort auf zu heulen!, befahl sie sich voller Wut. Kein
Geflenne!
Doch wann hätte sie je auf sich selbst gehört?
Flora warf sich ins Heu und heulte, bis ihr Schluchzen in
ihren eigenen Ohren heiser klang.
Als sie sich bequemer hinlegen und Luft für einen neuen
Weinkrampf holen wollte, stieß ihr rechter Fuß gegen etwas Hartes. Sie
lugte an ihrem Bein hinab und hielt die Luft an, als sie erkannte, was
dort unten lag.
Der Laptop. Er hatte ihr den Laptop dagelassen!
Der harte Klumpen in ihrer Kehle schmolz ein wenig. Der
flache, schwarze Kasten übte eine magische Anziehungskraft auf sie aus.
Flora schluckte ihre Tränen, setzte sich auf, legte den PC auf ihre
Knie und klappte ihn
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