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Ich schnapp' mir einen Mann

Ich schnapp' mir einen Mann

Titel: Ich schnapp' mir einen Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Völler
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zögernd nach dem angebissenen Apfel, doch mit einem Mal war ihr
die Lust am Essen vergangen. Hastig kramte sie eine ihrer Tabletten aus
der Handtasche und kaute sie. Plötzlich wurde ihr bewusst, welchen
Anblick sie bieten musste: zerraufte Haare, ungewaschenes Gesicht,
verknittertes, fleckiges Kleid, lehmverkrustete Füße. Und bestimmt
hatte sie einen Milchbart. Sie fuhr sich verstohlen mit dem Handrücken
über den Mund, raffte die Robe fester um sich und schluckte mühsam den
Rest der Tablette.
    »Ich seh wohl schrecklich aus, oder?«
    »Ziemlich«, stimmte Anton ihr zu. Er stand auf, hockte sich
mit gegrätschten Beinen über einen der Querbalken und biss lustlos in
sein Brötchen. Es schmeckte wie Sägemehl, das zu lange im Regen
herumgelegen hatte. Ihn plagte das Verlangen, sich an den entlegensten
Winkeln seines Körpers zu kratzen. Wahrscheinlich hausten Millionen von
Flöhen hier im Heu. Und jetzt auch auf ihm.
    Flora, der sein Missmut nicht verborgen blieb, fragte
vorsichtig: »Woran denkst du?«
    Anton antwortete nicht. Er schwang ein Bein über den Balken,
ging zur Scheunenwand und starrte durch die Ritze nach draußen.
    Es reichte ihm. Er hatte genug. Von ihr und überhaupt von
allem. Endgültig.
    Das Gefühl, die Nase voll zu haben, war jählings in ihm
aufgewallt, so übermächtig, dass er Flora am liebsten die Leiter
runtergeworfen hätte. Sein Anzug war Müll, sein Leben war Müll, er
hockte wie ein Landstreicher im Dreck und fraß vom Boden, und sie
allein war schuld daran!
    Flora ließ ihn nicht aus den Augen. »Was hast du, Anton?«,
fragte sie zaghaft. »Es ist doch alles in Ordnung, oder?«
    »In Ordnung?«, fragte er täuschend ruhig. Dann, ganz
plötzlich, verlor er jegliche Beherrschung. Er fuhr zu Flora herum und
brüllte sie wie ein Wahnsinniger an. »Alles in Ordnung? Das nennst du
in Ordnung? Dass ich nie mehr nach Hause kann? Dass ich mein Cabrio
verscherbeln muss, nur um nicht in den Knast zu wandern? Dass
vermutlich in diesem Augenblick hunderte von Bullen nach mir suchen,
bereit, mich beim geringsten Anzeichen von Gegenwehr niederzuschießen?
Dass meine Freundin mit einem bescheuerten Maler pennt? Dass ich hier
in einer dreckigen Scheune hocke und mit einer hochschwangeren
Verbrecherin wie ein Schwein vom Boden fresse, während ich eigentlich
an meinem Mahagonischreibtisch sitzen und dort den lukrativsten
Sozietätsvertrag aller Zeiten unterschreiben könnte? Na, wenn du das in
Ordnung nennst, fällt mir nichts mehr ein!«
    »Anton …« flüsterte Flora, kreidebleich im Gesicht.
    »Was bin ich eigentlich für dich?«, fiel er ihr brüsk ins
Wort. »Dein Retter? Dein Kindermädchen? Dein Schutzengel?« Er
schüttelte verbittert den Kopf. »Vergiss es, Flora! Das Leben ist kein
Roman! Für uns gibt es kein Happy End! Ich sage dir, wie das Ganze
ausgeht. Wir werden im Knast schmoren, wir zwei. Oder vielmehr, wir
drei, wenn du das Baby mitzählst. Und ich werde bis ans Ende meiner
Tage den Zufall verfluchen, der uns beide gestern Morgen in dieser Bank
zusammengeführt hat!«
    Er ließ sich auf den Hosenboden fallen, lehnte sich mit dem
Rücken gegen die Bretterwand und vergrub den Kopf zwischen den
verschränkten Armen. Das Schluchzen stieg mit Macht in ihm hoch und
erschütterte seinen ganzen Körper. Er war außerstande, seinen Tränen
Einhalt zu gebieten. Er hasste sich, weil er weinte wie ein kleiner
Junge, und noch mehr hasste er Flora, weil sie hier war und es mit
ansah, doch er war nicht in der Lage, etwas dagegen zu tun.
    Irgendwann, viel später (er hatte jedes Gefühl für Raum und
Zeit verloren) blickte er auf und war nicht allzu überrascht, Flora
nirgends zu sehen. Sie war verschwunden. Anscheinend hatte sie es
vorgezogen, das Ende seines Gefühlsausbruchs in sicherer Entfernung
abzuwarten.
    Sein Zorn war verraucht, und zurückgeblieben war ein schales
Gefühl von Leere. Eigentlich hätte er sich glücklich schätzen müssen,
dass sie weg war und er wenigstens eine Zeit lang Ruhe vor ihr hatte,
doch die erwartete Erleichterung wollte sich nicht einstellen.
Stattdessen spürte er nur vages Bedauern wegen seiner allzu groben
Worte, zu dem sich nach einer Weile leichte Besorgnis gesellte.
    Zwei Stunden später war aus der Besorgnis handfeste Panik
geworden.
    Flora war nicht zurückgekommen!
    Anton brachte die Essensreste, die Robe und den Laptop (sie
hatte ihn nicht mitgenommen!) zurück in den Wagen und machte sich, von
üblen Vorahnungen erfüllt, zu Fuß auf den Weg. Er

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