Ich schnapp' mir einen Mann
umrundete als Erstes
das alte Bauernhaus, doch die Läden waren fest verriegelt, und alle
Türen mit soliden Vorhängeschlössern gesichert. Hier drin versteckte
sich niemand außer Ungeziefer.
Der leichte Nieselregen hielt Anton nicht davon ab,
stundenlang in immer größeren Kreisen um das verlassene Gehöft
herumzumarschieren, doch er fand nirgends auch nur eine Fußspur von
Flora.
Hatte er zunächst geglaubt, sie hätte sich in irgendeinen
stillen Winkel zurückgezogen, um ihren Groll zu pflegen, lag sie
inzwischen in seiner Vorstellung im feuchten Unterholz des nahen
Wäldchens und bäumte sich in den letzten Wehen auf, während ihre
Schreie von aller Welt ungehört verhallten.
Er suchte den Wald bis in den letzten Winkel ab und stand am
Rande eines Nervenzusammenbruchs, nachdem er sie auch dort nirgends
gefunden hatte.
Wie hatte er sie nur so anbrüllen können! Sie bekam ein Baby!
Selbst der unsensibelste Volltrottel wusste, wie empfindlich schwangere
Frauen waren!
Anton zerfleischte sich mit schlimmsten Selbstvorwürfen.
Schwitzend und stolpernd kehrte er schließlich zum Wagen zurück,
brachte nach zahllosen mühevollen Versuchen den Motor in Gang und
holperte durch die allmählich einsetzende Abenddämmerung über den
Feldweg in Richtung Straße.
Er kurvte nahezu eine Stunde durch die Stadt und hielt an
jeder Ecke nach einer schwangeren Frau Ausschau; er fuhr im Schutze der
Dunkelheit sogar bei der Bank vorbei (vielleicht war ja was dran an der
Binsenweisheit vom Verbrecher, der an den Tatort zurückkehrt!), hielt
schließlich an einer Telefonzelle, suchte Floras Anschrift heraus und
fuhr zu ihr nach Hause, nachdem er zuvor vergeblich versucht hatte, sie
telefonisch zu erreichen.
Sie wohnte in einem hässlichen Klotz von Mietskaserne unterm
Dach. Anton klingelte Sturm, doch es öffnete niemand, nicht mal
besagter Heiner. Anton schwor sich bei dieser Gelegenheit, es dem
Schwein irgendwann gründlich heimzuzahlen, und ging unverrichteter
Dinge zurück zu der Ruine, die neuerdings sein Auto war.
Inzwischen war es halb zehn, und Anton war mit seinem Latein
am Ende. Er sah sie irgendwo im Dunkeln in einem verlassenen Steinbruch
oder auf dem Grund eines Sees liegen, langsam erkaltend, entleibt von
ihrer eigenen Hand. Ihm wurde schlecht bei dem Anblick ihres entseelten
Körpers, den ihm seine Fantasie in immer deutlicher hervortretenden
Einzelheiten vorgaukelte.
Was war er doch für ein Widerling!
Anton sank hinters Steuer des Trabant, schwach vor Sorge und
Hunger. Er hatte seit dem missglückten Frühstück nicht den kleinsten
Bissen zu sich genommen. Während er hastig die restlichen Vorräte
herunterschlang, fiel sein Blick auf den Laptop, den er auf dem
Beifahrersitz deponiert hatte. Zögernd griff er danach und klappte ihn
auf. Er rief die zuletzt bearbeitete Datei auf (Flora hatte sie unter schnappt! gespeichert) und fand ein überraschend umfangreiches Dokument
von nahezu achtzigtausend Wörtern, mit dem Arbeitstitel Ihr
schnappt uns nie!, unterteilt in zehn Kapitel. Sie hatte
bereits etliche Absätze des elften Kapitels fertig gestellt, und Anton
begann unwillkürlich bei einer wahllos herausgegriffenen Stelle zu
lesen.
Wer Florinda und Antonio waren, bedurfte keiner großartigen
Überlegung.
Bei den anderen Figuren kam er dagegen anfangs ins Grübeln.
Zwischendurch ging er deshalb einige Male zurück, um sich über einzelne
Personen zu informieren, wie zum Beispiel den Don (der ziemlich nebulös
im Hintergrund die Strippen zog), Enrico (der Kerl kam ihm irgendwie
bekannt vor), den korrupten Killerbullen Albino (Alwin Kleff!?) und
einem draculaähnlichen, vom Don vorgeschickten Scheusal ohne Namen (der
im wirklichen Leben vermutlich gerade mit seinem brandneuen BMW in
allerbester Laune nach Polen oder Tschechien unterwegs war).
Anton achtete weniger auf den Stil – er schien recht
flüssig, flott und damit dem Genre angemessen zu sein – als
vielmehr auf den Fortgang der Handlung.
Von einem Steinbruch oder einem See war gegen Ende des letzten
Eintrags nirgends die Rede. Dafür fand er, ebenfalls ziemlich am
Schluss, einen Absatz, der ihn in höchste Alarmbereitschaft versetzte.
Am schlimmsten war ihre Angst vor dem Frauenknast.
Ihr Kind würde hinter Gittern zur Welt kommen, mit ihr zusammen
eingesperrt werden! Jede Tür, durch die es ging, würde zuvor
aufgeschlossen werden! Florinda dachte, es sei besser zu sterben, als
ihr Kind einem solchen Schicksal lebendigen Begrabenseins
Weitere Kostenlose Bücher