Ich schreib dir morgen wieder
Blick wurde besorgt. »Weseley hat gesagt, er hat dich in einem Zimmer gefunden, bei einem Mann mit entstelltem Gesicht, voller Narben …«
»Aber er kann nichts für die Beule.« Ohne genau zu wissen, warum, verteidigte ich den Mann sofort. »Rosaleen hat mich im Bungalow überrascht. Sie war total wütend und hat mir lauter Lügen über dich und Dad erzählt. Da bin ich auf sie losgegangen, weil ich wollte, dass sie damit aufhört, aber sie hat mich weggeschubst …« Ich legte vorsichtig meine Hand auf die Wunde. »Sieht es schlimm aus?«
»Ich glaube nicht, dass eine Narbe zurückbleibt. Aber erzähl mir doch mal von diesem Mann.« Mums Stimme zitterte.
»Rosaleen und er haben sich gestritten. Sie hat ihn Laurie genannt«, erinnerte ich mich plötzlich.
Schwester Ignatius hielt sich an der Couch fest, als würde der Boden unter ihr schwanken. Mum sah sie an, ihr Kiefer verkrampfte sich. »Dann stimmt es also«, sagte sie leise zu mir. »Dann hat Arthur also die Wahrheit gesagt.«
»Aber das ist unmöglich«, flüsterte Schwester Ignatius. »Wir haben ihn begraben, Jennifer. Er ist bei dem Brand im Schloss ums Leben gekommen.«
»Nein, Schwester Ignatius, er ist nicht tot. Ich hab ihn gesehen. Ich war in seinem Zimmer. Er hat überall Bilder aufgehängt, die ganzen Wände sind voller Fotos.«
»Er hat immer schrecklich gern fotografiert«, meinte Mum gedankenverloren.
»Und auf den Fotos bin ich«, fügte ich hinzu und sah von einem zum andern. »Wer ist denn dieser Mann? Sagt doch was!«
»Fotos? Davon hat Weseley gar nichts gesagt«, meinte Schwester Ignatius. Sie zitterte, ihr Gesicht war ganz blass.
»Weseley hat sie auch nicht bemerkt, aber ich hab sie gesehen. Es war wie eine Fotodokumentation über mein Leben.« Die Worte drohten mir im Hals steckenzubleiben, aber ich überwand mich und redete weiter. »Mein Geburtstag, meine Taufe.« Ich sah Schwester Ignatius an, und plötzlich wurde ich wütend. »Sie waren übrigens auch dabei.«
»Oh.« Sie hielt sich ihre runzlige, knochige Hand vor den Mund. »Ach, Tamara.«
»Warum haben Sie mir nichts davon erzählt? Warum habt ihr mich beide angelogen?«
»Ich wollte es dir ja erzählen«, verteidigte sich Schwester Ignatius. »Ich hab dir gesagt, dass ich dich nie anlügen würde, dass du mich alles fragen kannst. Aber du hast es nie getan. Ich hab gewartet und gewartet, aber ich fand, dass es für mich nicht angemessen gewesen wäre, die Initiative zu ergreifen. Vielleicht hätte ich es aber doch tun sollen.«
»Ja, wir hätten nicht riskieren dürfen, dass du es so rausfindest«, sagte Mum, und auch ihre Stimme bebte.
»Aber keiner von euch hatte den Mumm, das zu tun, was Rosaleen getan hat.
Sie
hat mir nämlich was erzählt.« Ich schob Mums Hand weg und wandte das Gesicht ab. »Sie hat mir irgendeine lächerliche Geschichte aufgetischt, dass Dad mit Granddad hier vorgefahren ist und gleich alles kaufen und in ein Wellness-Hotel umfunktionieren wollte. Sie meinte, so hat er Mum kennengelernt.
Und
mich.« Ich schaute zu Mum und wartete. Jetzt würde sie mir bestimmt erklären, dass Rosaleen sich das alles aus den Fingern gesogen hatte.
Aber sie schwieg beharrlich.
»Sag mir bitte, dass das nicht wahr ist«, stieß ich mühsam hervor, die Augen voller Tränen, und obwohl ich mich so bemühte, stark zu sein, gelang es mir nicht. Es war einfach zu viel. Schwester Ignatius bekreuzigte sich. Man sah ihr an, dass sie zutiefst erschüttert war.
»Sag mir, dass er mein Vater war.«
Jetzt brach Mum in Tränen aus. Nach einer Weile jedoch holte sie tief Luft, fasste sich und nahm sichtlich ihre ganze Kraft zusammen. Als sie weitersprach, war ihre Stimme fest und tiefer als vorher. »Okay, hör mir zu, Tamara. Du musst mir glauben, dass wir es dir nur deshalb nicht gesagt haben, weil wir damals glaubten, es wäre besser so, und George …« Sie stockte. »George hat dich von ganzem Herzen geliebt. Er hat dich geliebt wie sein eigenes Kind …«
Jetzt war es heraus. Ich traute meinen Ohren nicht. Was ich da hörte, war einfach unglaublich.
»Er wollte nicht, dass ich es dir sage. Ständig haben wir uns deswegen gestritten. Aber das ist meine Schuld. Es ist alles meine Schuld. Es tut mir so leid, Tamara, es tut mir ehrlich leid.« Die Tränen liefen ihr in Strömen über die Wangen, aber ich wollte kein Mitleid mit ihr haben. Ich wollte ihr nur zeigen, wie sehr sie mich verletzt hatte. Aber ich konnte nicht. Ich schaffte es nicht, nichts zu
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