Ich schreib dir morgen wieder
schaute ich nach draußen Richtung Garage, und Rosaleen erklärte: »Die hat Arthur auch selbst gebaut. Als ich eingezogen bin, gab es sie noch nicht.«
Was war das denn für eine seltsame Formulierung?
Als
ich
eingezogen bin
. »Wer hat denn vorher hier gewohnt?«
Nun musterte Rosaleen mich mit dem gleichen argwöhnischen Blick, den sie bisher für die Beobachtung meiner Essgewohnheiten reserviert hatte. Aber sie antwortete nicht. Das passierte oft und scheinbar völlig willkürlich – mit Blicken und Pausen verabschiedete Rosaleen sich aus einem Gespräch, als wäre plötzlich die Verbindung zu ihrem Gehirn ausgefallen.
Ich fand ihr Verhalten so bizarr, dass ich einfach wegschaute. Dadurch geriet aber ein Teppich in mein Visier, den Rosaleen irgendwann mal als Dank für irgendetwas geschenkt bekommen hatte, keine Ahnung, und es ging wieder von vorne los … Aber jetzt, wo ich allein war und sie mir nicht mit ihrem nervösen Geplapper dazwischenfunkte, konnte ich mir das Haus endlich in Ruhe ansehen.
Das Wohnzimmer sollte wohl gemütlich sein, aber für meinen Geschmack war es ein bisschen altmodisch. Na ja, sehr altmodisch sogar, ganz anders als in meinem Zuhause, das modern und sauber ist – war –, mit klaren Linien, alles symmetrisch. Hier standen überall irgendwelche Sachen herum, die Gemälde passten nicht zu den Sofas, es gab seltsame Dekostücke, Tische und Stühle mit Spindelbeinen und Tierklauen, zwei Sofas mit völlig unterschiedlichen Bezügen – das eine hatte ein Blumenmuster in Blau und Elfenbein, das andere sah aus, als hätte eine Katze draufgekotzt – und einen Couchtisch, den man auch als Schachbrett verwenden konnte. Der Fußboden fühlte sich uneben an und senkte sich vom Kamin zu den Bücherregalen hin merklich ab, wodurch man sich leicht ein bisschen seekrank fühlte. Am meisten wurde allem Anschein nach der Bereich um den offenen Kamin frequentiert. Ich bekam eine Gänsehaut, als ich die Gerätschaften sah, die aus einer mittelalterlichen Folterkammer hätten stammen können: schmiedeeiserne Schürhaken mit Tierköpfen, Kohlenschaufeln in verschiedensten Größen, ein uralter Blasebalg, ein schwarzer gusseiserner Kaminschirm, verziert mit einer unidentifizierbaren Tiergestalt. Ich wandte dem Kamin den Rücken zu und konzentrierte mich lieber auf das Bücherregal, das bis zur Decke reichte – es gab sogar eine Leiter – und sich über die ganze Wand erstreckte. Es war vollgestopft mit Büchern, Fotos, Blechdosen, Souvenirs und anderen nutzlosen Kleinigkeiten. In den meisten Büchern ging es um Gartenarbeit und Kochen, sehr spezifisch, überhaupt nicht nach meinem Geschmack, alt und zerfleddert, teils zerrissen, teils ohne Einband, die Seiten vergilbt, einige mit Wasserschäden. Aber nirgends ein Staubkörnchen. Ein riesiges, rot eingebundenes Buch sah besonders alt aus, und das Rot des Einbands hatte sogar schon auf die Seiten abgefärbt. Es war
Lloyd’s Register of Shipping
1919
–
1920
Volume
2
, mit Hunderten von Seiten, auf denen in alphabetischer Reihenfolge Schiffsnamen samt Angaben zu Totlast, Ladefähigkeit und Bunkervorrat aufgelistet waren. Vorsichtig stellte ich das Buch an seinen Platz zurück und wischte mir die Hände an den Klamotten ab, weil ich mich nicht mit irgendwelchen Bakterien von 1919 anstecken wollte. Ein anderes Buch, auf dessen Cover ein goldenes Kreuz mit einer Schlange abgebildet war, behandelte die Weltreligionen. Daneben stand ein Buch über griechische Küche, aber ich bezweifelte sehr, dass neben Rosaleens riesigem Herd noch Platz für einen Souvlaki-Spieß gewesen wäre. Als Nächstes kam
The Complete Book of the Horse
, obwohl der Titel – »Alles über Pferde« – anscheinend nicht ganz der Wahrheit entsprach, denn es gab noch zwölf weitere Bücher zum gleichen Thema.
Bisher hatte ich nur das erste Kapitel des Buchs gelesen, das Fiona mir bei der Beerdigung meines Vaters gegeben hatte, und das war für meine Verhältnisse schon ziemlich viel. Bücher interessierten mich nicht besonders, auch diese hier nicht. Weit neugieriger machte mich ein Fotoalbum, das zwischen den großformatigen Büchern stand, zwischen Wörterbüchern, Lexika, einem Weltatlas und Ähnlichem. Ein altmodisches Album, das aussah wie ein richtiges Buch, zumindest von hinten. Es hatte einen roten Samteinband und Seiten mit Goldrand. Behutsam holte ich es heraus und fuhr mit dem Finger über die Vorderseite, was im Samt eine etwas dunklere Spur hinterließ. Dann
Weitere Kostenlose Bücher